Assoziativer Denkraum: "Everything that happend" in Salzburg

Heiner Goebbels zeigt in Salzburg seine installative Performance
Wären die Wiener Festwochen 2020 pandemiebedingt nicht abgesagt worden, hätte es schon passieren können: Das heimische Publikum hätte Heiner Goebbels' installative Performance "Everything That Happened and Would Happen" bereits erleben können. Dass es nun doch geklappt hat, ist den Salzburger Festspielen zu verdanken. Der 90-minütige Abend auf der Perner Insel geriet dabei zu einem assoziativen Nachdenken über Katastrophen, europäische Identität und die Menschheit selbst.

Sie kommen in rollenden Transportboxen und sind schon mehr als ein Jahrzehnt alt: Jene Bühnenelemente, die Klaus Grünberg im Jahr 2012 für Goebbels' Inszenierung von "Europeras 1 & 2" von John Cage geschaffen hat. Vorsichtig werden Muscheln, Buchstaben und eine Art Sonne ausgepackt, riesige Leinwände ausgerollt. Zu den sphärischen Klängen einer vierköpfigen Band, die an den vier Ecken der Bühne Platz genommen hat, entspinnt sich ein behutsames, forschendes Objektballett. Aus dem Off erklingen auf Englisch (und später auch Spanisch und Französisch) vorgetragene und als Übertitel mitlesbare Auszüge aus Patrik Ouředníks Text "Europeana - Eine kurze Geschichte Europas im 20. Jahrhundert".

Während es in Ouředníks ironisch-bitteren Miniaturen um nationale Zuschreibungen, Feuerpausen im Ersten Weltkrieg, Diskussionen über Holocaust-Denkmäler oder eine Barbie-Puppe in KZ-Häftlingskleidung geht, werden immer wieder aktuelle "No Comment"-Szenen von "Euronews" auf die Kulissen projiziert: Von einer Brückensprungmeisterschaft im Kosovo über Kriegsbilder aus Gaza bis zum Vulkanausbruch in Island. Er hege ein "tiefes Misstrauen gegenüber der erfolgreichen Übermittlung einer Botschaft", lässt der 72-jährige deutsche Komponist und Regisseur Goebbels im Programmheft wissen. Vielmehr schwebe ihm ein "Raum für Imagination und Reflexion" vor, "in dem die Konstruktion von Sinn jedem selbst überlassen bleibt".

Und so gilt es sich zu Klängen der Musiker (Sofia Borges, Gianni Gebbia, Cécile Lartigau und Nicolas Perrin) ganz auf das Gesamterlebnis einzulassen, den Bewegungen der zwölf internationalen Performerinnen und Performer zu folgen, sich von Licht, Schatten und Nebel davontragen zu lassen und über jene Effekte zu staunen, die Grünbergs Kulissen durch die Nachrichten-Projektionen in neues Licht rücken.

Es ist ein multidisziplinärer Blick auf unser von den Geschehnissen des 20. Jahrhunderts geprägtes Europa, auf eine von zahllosen Historikern, Soziologen und Philosophen analysierte Gesellschaft, die von diesen Zuschreibungen unberührt einfach weiterlebt, wie es am Ende des Abends heißt: "Und 1989 entwickelte ein amerikanischer Politikwissenschaftler eine Theorie über das Ende der Weltgeschichte (...) Doch viele Leute wussten nichts von dieser Theorie und schrieben weiterhin Geschichte, als sei nichts passiert." Ein eindringlicher Abend, der nun endlich auch hierzulande "passiert" ist.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - Salzburger Festspiele: "Everything That Happened and Would Happen" von Heiner Goebbels mit Texten aus "Europeana" von Patrik Ouředník und News-Clips des Informationskanals "No Comment" von "Euronews". Konzept und Regie: Heiner Goebbels, Musik: Sofia Borges, Gianni Gebbia, Cécile Lartigau und Nicolas Perrin. Weiterer Termin auf der Perner Insel am 25. August, 20 Uhr. www.salzbugerfestspiele.at)

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