APA - Austria Presse Agentur

Corona: Auch Den Haag kontert Kurz-Vorwürfen zu EU-Vakzinverteilung

Nach Malta und Deutschland haben auch die Niederlande die Vorwürfe von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zurückgewiesen, sich außerhalb der EU-Vereinbarungen extra Corona-Impfdosen zu beschaffen.

Das Land erhalte Impfstoffe über den Mechanismus in der EU, sagte ein Sprecher des niederländischen Gesundheitsministeriums am Samstag. "Wir halten uns an die Absprachen." Kurz fordert in einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoff-Verteilung. Die Niederlande nutzten zugleich den Spielraum "maximal" aus, ergänzte der niederländische Sprecher. Kontingente könnten freikommen, weil ein Land verzichte, sagte der Sprecher. Dann könnten andere Länder diese übernehmen. Das hätten die Niederlande getan.

Kurz hatte am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien erklärt, dass möglicherweise Nebenabsprachen zwischen Pharmafirmen und einzelnen Mitgliedsstaaten existierten. Er sprach von einem "Basar". Kurz nannte in diesem Zusammenhang auch die Niederlande.

Deutschland ließ zur Kritik von Kurz wissen: "Es ist vereinbart, dass die Verteilung der Impfstoffkontingente zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich nach dem Bevölkerungsanteil erfolgt", so ein Regierungssprecher in Berlin. "Für den Fall, dass Mitgliedsstaaten die ihnen zustehenden Mengen nicht vollumfänglich abnehmen, wurde ein Verfahren etabliert, das anderen Mitgliedsstaaten den 'Aufkauf' dieser nicht abgenommenen Dosen ermöglicht", fügte er hinzu. Auch dabei würden die Bestellungen nach demselben Verfahren verteilt. "Wenn ein Mitgliedsstaat dabei keine Dosen bestellt, erhält er auch nichts."

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Ähnlich hatte sich zuvor auch die EU-Kommission geäußert. Malta wies die Vorwürfe durch Gesundheitsminister Chris Fearne zurück. Kurz sieht einen EU-Gipfelbeschluss verletzt, wonach die Impfstoffe gleichmäßig nach der Bevölkerungsanzahl an die Staaten verteilt werden sollen. Kurz verwies darauf, dass etwa Malta drei Mal so viele Impfstoffdosen pro Kopf erhalten habe wie Bulgarien. Österreich selbst sei nicht benachteiligt.

Malta kommt in der Impfkampagne schneller als andere EU-Länder voran. Von den etwa 500.000 Bewohnern der Mittelmeer-Insel erhielten fast 20 Prozent bis Freitag mindestens eine Impfung. Die Niederlande, die als letztes Land der EU die Impfkampagne begonnen hatten, holen inzwischen auf. Zur Zeit haben etwa 1,4 Millionen Bürger zumindest eine Dosis erhalten. Mehr als 400.000 hätten bereits zweimal eine Spritze bekommen. Das sind etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung.

In Österreich selbst widersprach die Generalsekretärin des grün geführten Gesundheitsministeriums, Ines Stilling, dem Kanzler. Die Verhandlungen über die Verteilung seien "ausgewogen und transparent" gelaufen, sagte Stilling laut dem "Morgenjournal" des ORF-Radios Ö1. Alle Mitgliedsstaaten, also auch Österreich, hätten die Möglichkeit gehabt, freie Vakzinkontingente zu kaufen. Es gebe keine Basarmethoden. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) forderte wiederum, die "undurchsichtigen Vorgänge" müssten umgehend aufgeklärt und die Verträge zur Impfstoffverteilung zur Gänze offengelegt werden.

Bundeskanzler Kurz hat unterdessen in einem gemeinsamen Brief mit vier Amtskollegen einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoff-Verteilung gefordert. Damit alle EU-Staaten ihre Impfziele für das zweite Quartal erreichen, solle EU-Ratspräsident Charles Michel "so bald wie möglich" einen Gipfel abhalten, heißt es in dem am Samstag veröffentlichen Schreiben der Regierungschefs von Österreich, Tschechien, Slowenien, Bulgarien und Lettland an die EU-Spitze.

Das Schreiben an Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, das am Samstag laut der italienischen Agentur ANSA in Brüssel einlangte, wiederholt im Wesentlichen die von Kurz am Freitag in der Pressekonferenz gemachten Aussagen. Kurz und seine Amtskollegen Andrej Babis (Tschechien), Janez Jansa (Slowenien), Bojko Borissow (Bulgarien) und Krisjanis Karins (Lettland) berichten, sie hätten "in den vergangenen Tagen entdeckt", dass die Lieferungen der Impfstoffdosen durch die Pharmafirmen nicht entsprechend dem Bevölkerungsschlüssel erfolgen.

"Wenn dieses System so weitergeht, würde das bis zum Sommer riesige Ungleichheiten unter den Mitgliedsstaaten schaffen und vertiefen. So würden einige in wenigen Wochen die Herdenimmunität erreichen können, während andere weit zurückblieben", beklagten die fünf Regierungschefs. "Aus unserer Sicht widerspricht das nicht nur unserer Vereinbarung, sondern auch dem Geist der europäischen Solidarität."

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Kurz telefonierte in der Sache auch mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten Antonio Costa: "Ich habe mit dem portugiesischen Ratsvorsitzenden Antonio Costa gesprochen und ersucht, eine gemeinsame europäische Lösung zu finden", wird Kurz dazu in einer Stellungnahme zitiert, welche das Bundeskanzleramt der APA am Samstag übermittelt hat. Portugal ist derzeit EU-Vorsitzland.

Babis sagte am Samstag der Nachrichtenagentur CTK, nach seiner Auffassung sollten die Lieferungen von Corona-Vakzinen innerhalb der EU strikt nach der Einwohnerzahl verteilt werden, bis 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung immunisiert sei. Alle EU-Staaten sollten laut dem tschechischen Premier die Gelegenheit haben, zumindest im 1. Halbjahr 2021 mit gleicher Geschwindigkeit zu impfen. Jegliche "Über-Bestellungen" einzelner Länder sollten erst im 2. Halbjahr befriedigt werden, so der tschechische Regierungschef. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten hätten das Prinzip der gleichen Impfgeschwindigkeit mehrmals bei gemeinsamen Sitzungen bestätigt.

Von den fünf Unterzeichnern des Schreibens an Michel und von der Leyen sind drei (Bulgarien, Tschechien und Lettland) bisher schlechter ausgestiegen als bei einer konsequenten Verteilung der Impfdosen nach der Bevölkerung. Slowenien und Österreich haben so viele Dosen erhalten wie es ihrer Bevölkerungsanzahl entspricht. Kroatien, das in der bisherigen Bilanz mit -27 Prozent an drittletzter Stelle liegt, schloss sich dem Schreiben nicht an. Der kroatische Premier Andrej Plenkovic äußerte am Freitag bei einem Besuch in Brüssel laut einem ORF-Bericht sogar Unverständnis für den Vorstoß des Kanzlers. Es komme ganz einfach darauf an, welches Land bei welchem Hersteller bestellt habe, rechnete Plenkovic vor Journalisten vor.