Russlands Präsident Wladimir Putin

APA/AFP/SPUTNIK/ALEXEY DANICHEV

Aufdecker Grozev sieht baldiges politisches Aus für Putin

Der Russland-Experte und Enthüllungsjournalist Christo Grozev sieht das politische Ende des russischen Machthabers Wladimir Putin nahe.

"Es könnte überraschend schon im Sommer so weit sein oder erst, wenn die Sanktionen das tägliche Leben der Russen treffen und der Rubel an Wert verliert, und das könnte fünf bis acht Monate dauern", sagte Grozev im APA-Gespräch in Wien. Wie es nach Putin weitergehe, sei offen, weil es einen Machtkampf von Kriegsgegnern und Hardlinern gebe.

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"Ich tue mir schwer, ein Szenario zu finden, nach dem er (an der Macht) bleiben würde", sagte Grozev am Rande der internationalen Konferenz "Time to Decide Europe Summit" in Wien auf die Frage nach den politischen Zukunftsaussichten Putins. "Es gibt in der Geschichte kein Beispiel von jemandem, der seiner Elite so hohe Kosten zugemutet hätte und an der Macht geblieben wäre."

Grozev betonte zugleich, dass der Sturz Putins nicht durch einen Volksaufstand zustande kommen werde. "Es wird von den Eliten kommen." Diese seien nämlich nicht wie die Bevölkerung Desinformation ausgesetzt "und kennen die tatsächlichen Zahlen und Aussichten", sagte der in Wien lebende bulgarische Enthüllungsjournalist. "Je weiter man in der Machtpyramide hinaufgeht, umso schlechter ist die Stimmung", fasste Grozev die Gemütslage in Russland zusammen.

Der weitere Verlauf des Ukraine-Krieges "hängt davon ab, ob Putin das politische Risiko eingeht, eine volle Mobilisierung bekannt zu geben", so Grozev. "Er braucht rund eine Million Soldaten, damit sich die Dinge zum Positiven wenden." Ohne Mobilisierung könne die russische Armee nur einen Abnützungskrieg mit wenig Bewegung aufrechterhalten, bis dann die Ukraine selbst in die Offensive gehen könne. Dies sähen nicht nur westliche, sondern auch russische Militärexperten so.

"Meine Vorhersage ist, dass die Ukraine bis zum Ende des Sommers vielleicht sogar einen Teil des Territoriums der DVR und LVR zurückerobern wird können", sagte Grozev mit Blick auf die im Jahr 2014 etablierten pro-russischen "Volksrepubliken" in den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk. Putin hatte die beiden Separatistengebilde unmittelbar vor Kriegsbeginn im Februar als unabhängige Staaten anerkannt, um auf deren Ersuchen das Nachbarland überfallen zu können.

Grozev betonte, dass Putin die Verantwortung für den Krieg habe. "Ihm nahestehende Personen sagten, dass es sich um eine Obsession von ihm handle. Er nahm den Rat der Falken an, doch die Entscheidung traf er selbst." Jetzt gebe es im Kreml einen Machtkampf zwischen Falken und Tauben, mit ungewissem Ausgang.

"Ein Regimewechsel könnte in zwei Richtungen passieren. Es gibt Lobbys innerhalb der Silowiki (Lager der Geheimdienstler und Militärs, Anm.), die denken, dass Putin alles falsch gemacht hat und er härter hätte vorgehen sollen, etwa durch den Einsatz von Chemiewaffen oder einer Mobilisierung schon zu Beginn des Krieges", erläuterte Grozev. Das Sprachrohr der Falken sei Igor Girkin, der im Jahr 2014 die Abspaltung des Donbass militärisch durchzog. Dass Girkin Putin jetzt auch öffentlich kritisieren dürfe, zeige, "dass er den Schutz von einigen mächtigen Leuten hat".

Auf der anderen Seite stünden die Oligarchen, die unter den westlichen Sanktionen litten. Sie seien bemüht, Zugang zu den Silowiki zu bekommen, um Putin zu einem Ende des Krieges zu bewegen, sagte Grozev. "Es ist ein offener Kampf zwischen Falken und Tauben, und ich bin mir nicht sicher, wer siegen wird." Die Tauben hätten deshalb eine Chance, sich durchsetzen, weil sie einen höheren Entwicklungsgrad aufweisen, mehr Zugang zu "politischer Technologie" (euphemistischer Ausdruck für verschiedene Methoden politischer Manipulation, Anm.) und auch die Unterstützung des Westens hätten.

Der Gründer der Enthüllungsplattform "Bellingcat" beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit dem Putin-Regime und seinen kriminellen Machenschaften. Internationale Berühmtheit erlangte Grozev, als er nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny die Attentäter aufspürte. In einem unter falscher Identität geführten Telefongespräch konnte Nawalny einen der Täter dazu bringen, die Durchführung des Giftanschlags zu schildern. Grozev war der Gruppe durch die kreative datenjournalistische Ansätze, etwa die Verwendung von Flugpassagierdaten, auf die Schliche gekommen.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)