APA - Austria Presse Agentur

Augenzeugin: Lage in Kasachstan beruhigt sich

Die Lage in Kasachstan dürfte sich nach der brutalen Niederschlagung der Anti-Regierungsproteste vorerst beruhigt haben. In Almaty, der größten Stadt des Landes, patrouillieren gepanzerte Militärfahrzeuge, zudem gebe es Berichte über Scharfschützen auf den Dächern, erzählt die Kasachin Zalina der APA. Eine Protestbewegung scheine nicht aktiv zu sein, da schon über 9.000 Menschen verhaftet worden seien, vielmehr habe die Repression begonnen, berichtet sie.

"Die Menschen versuchen hauptsächlich, das Geschehene zu verarbeiten und unsere körperlichen und geistigen Verluste zu betrauern", sagt sie. Das kasachische Staatsfernsehen hatte am Sonntag unter Berufung auf das Gesundheitsministerium von 164 Toten berichtet, diese Meldung wurde später jedoch ohne Angaben von Gründen wieder gelöscht. Präsident Kassym-Schomart Tokajew sprach von 16 getöteten Sicherheitskräften.

Nun scheine sich das Leben in Almaty wieder zu normalisieren, berichtet Zalina. So habe am Dienstag der Zugang zum Internet, der um sechs Uhr in der Früh freigeschaltet worden war, im Gegensatz zum Vortag um 13 Uhr noch funktioniert. "Die Leute gehen in Lebensmittelgeschäfte, die geöffnet haben, um Essen zu besorgen, überall gibt es Schlangen. Wir erhalten immer wieder Informationen aus den Nachrichten über die Verhaftung von Journalisten. Es gibt ein Gefühl von emotionaler Erschöpfung", erzählt die Frau aus der ehemaligen Hauptstadt.

Zuerst seien die Leute als Solidarität mit den Menschen in Schanaosen in der Region Manggystau im Westen des Landes auf die Straßen gegangen, die gegen die Verdoppelung der Preise für Flüssiggas protestierten. Die Proteste von Ölarbeitern in Schanaosen wurden schon 2011 unter dem damaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew brutal niedergeschlagen - laut Menschenrechtsaktivisten starben damals über 70 Menschen - "daher wollten wir, dass sich das nicht wiederholt", so Zalina.

Manggystau ist etwa doppelt so groß wie Österreich und unglaublich reich an Gas und Öl. Die Mehrheit der Bevölkerung müsse jedoch von Niedriglöhnen leben, erzählt Zalina. Schnell hätten die Demonstranten daher auch demokratische politische Reformen und die Aufnahme eines Dialogs mit den Behörden gefordert. "Während es im westlichen Teil Kasachstans Anführer gab, die bei den Protesten auftraten, war es in Almaty eher unorganisiert und hektisch ohne erkennbare Anführer. In Almaty wurden die friedlichen Demonstranten beschossen und mit Blendgranaten beworfen." Sie glaube daher nicht, dass die Leute wieder protestieren.

Ob Tokajew die Proteste nutze, um Nasarbajew und dessen Clan endgültig loszuwerden, werde die Zeit zeigen, meint Zalina. Tokajews Aussage am Dienstag, dass durch Nasarbajew "eine Gruppe sehr profitabler Unternehmen sowie eine Gruppe von Menschen entstanden, die selbst im internationalen Vergleich wohlhabend sind", und die Aufforderung an diese, durch Spenden in eine neue wohltätige Stiftung ihren Wohlstand zu teilen, deutet jedoch darauf hin.

Nasarbajew sei auch am 28. Dezember noch bei einem inoffiziellen OKVS-Treffen in Moskau anwesend gewesen. "Drei Tage später, am 1. Jänner, stiegen die Gaspreise um 30 Prozent. Das lässt mich denken, dass es eine Provokation war", denn ohne einen Befehl von oben hätten sicher nicht alle Tankstellenbesitzer die rasanten Preiserhöhungen mitgetragen, so Zalina. Eine Vermutung hätten die Kasachen jedenfalls: "Viele meinen, dass es Russland und seine Geheimdienste waren, die direkt an der Entwicklung dieser Reihe von Ereignissen beteiligt waren."

(Das Interview führte Martin Hanser/APA)