APA - Austria Presse Agentur

Autor Petros Markaris in Wien: "Man sollte sich empören!"

"Literatur in Krisenzeiten" hieß die Rede, mit der Petros Markaris vor zehn Jahren auf dem Höhepunkt der griechischen Finanzkrise die Messe "Buch Wien" eröffnete. Die Sorgen sind seither nicht weniger geworden: 2015 kam die Flüchtlingskrise, 2020 die Coronakrise. Doch Markaris strahlt. Heute Abend liest der griechische Autor bei der Wiener Kriminacht. "Es ist meine erste Lesung seit zwei Jahren", freut sich der 84-Jährige im Interview mit der APA.

Zu Österreich hat er eine besonders starke emotionale Bindung. Er besuchte das österreichische St. Georgs-Kolleg in seiner Geburtsstadt Istanbul und studierte in Wien Volkswirtschaft. "Meine erste Reise nach der Matura machte ich nach Wien, nun führt mich meine erste Lesung nach der Pandemie wieder hierher. Das ist doch schön!" Weniger schön waren die Umstände beim Schreiben jenes Buches, aus dem er heute in der Hauptbücherei vorliest: "'Das Lied des Geldes' sollte eigentlich der Epilog zur Finanzkrise sein, die Griechenland von 2011 bis 2018 schwer getroffen hat. Der Mittelstand wurde bis an die Grenze des Ruins gebracht. Was ich mir damals unmöglich vorstellen konnte, dass aus dem Nichts heraus eine Pandemie kommen könnte, die dem Mittelstand den Todesstoß versetzt."

Auch in Griechenland, wo die Impfrate laut Markaris etwas über Österreich liegt, seien staatliche Coronahilfen ausgeschüttet worden, erzählt er: "Der Wille zu helfen war da!" Sein eigener Tagesplan habe sich durch Corona kaum geändert, "allerdings bin ich gewohnt, am Abend Freunde zu treffen und mit ihnen bei einem Glas Wein zu plaudern. Das konnte ich natürlich nicht mehr. Diese erzwungene Einsamkeit hatte auch psychische Folgen." Und körperliche: Weil er sich angewöhnte, früh ins Bett zu gehen, gab es nur noch eine warme Mahlzeit pro Tag - und am Ende zehn Kilo weniger für den Autor, der Corona in vier Geschichten seines in Griechenland bereits erschienenen neuen Erzählbands verarbeitet hat. Auch der nächste Krimi um Kommissar Kostas Charitos spielt zur Pandemiezeit. Markaris hat ihn fast fertig.

Sein Kommissar ermittelt bereits seit 1995 und hat alle Höhen und Tiefen der jüngeren griechischen Geschichte miterlebt. "Das Lied des Geldes" ist bereits der 13. Band. Stimmt die Beobachtung, dass sich Markaris weniger als Krimiautor denn als Chronist seiner Zeit versteht? Das stimme, sagt der Autor, die Verbindung mit einer Krimihandlung sei aber auch im bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts üblich gewesen. Auch Balzac, Zola oder Dostojewski wären gerne von einem Kriminalfall ausgegangen, um die Gesellschaft ihrer Zeit zu porträtieren.

In "Das Lied des Geldes" gibt es zwei Handlungsstränge: Charitos muss eine Mordserie an ausländischen Investoren aufklären, während ein altlinker Freund eine Protestbewegung der Armen formiert. "Erstmals habe ich mit Charitos und dem Altkommunisten Sissis zwei Erzähler", sagt Markaris, der seine "Bewegung der Armen" nach dem Vorbild der französischen Gelbwesten und der italienischen Sardinen-Bewegung erfunden hat. "In Griechenland gibt es so eine Bewegung noch nicht." Nicht erfunden sei jedoch, dass der griechische Mittelstand in den vergangenen Jahren enorm unter Druck geraten sei und ausländische Großinvestoren teilweise sehr kritisch beurteilt würden. "Was ich über die chinesischen Immobilienkäufer in Griechenland geschrieben habe, ist nicht erfunden."

Politisch sieht Petros Markaris sein Land jedoch deutlich stabiler als vor zehn Jahren. "Wir haben eine Regierung, die manches ganz richtig macht und alles andere falsch - wie Regierungen auf der ganzen Welt auch. Das ist nichts Besonderes. Ansonsten ist es ruhig. Vielleicht ist daran aber auch Corona Schuld. Der Kampf gegen das Virus hat dazu beigetragen, das Ansehen der Regierung bei der Bevölkerung zu steigern. Der Mittelstand ist jedoch weiter in großen Schwierigkeiten, und auch die Zukunft der jungen Leute ist sehr schwierig. Für die junge Generation sieht es nicht rosig aus."

Deutlich instabiler ist es gerade in der österreichischen Politik. Petros Markaris lacht: "In Zeiten wie diesen, erstaunt mich nichts. Alles ist möglich, weil alle 'Das Lied des Geldes' singen." Aber bedeutet das nicht eben auch: So machen es alle? "Das stimmt wohl. Aber das heißt nicht, dass es richtig ist. Die Mehrheit schafft nicht automatisch Legalität. Man sollte das nicht hinnehmen. Man sollte sich empören!"

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Petros Markaris: "Das Lied des Geldes. Ein Fall für Kostas Charitos", Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger, Diogenes Verlag, 312 Seiten, 24.70 Euro; Lesung heute, Dienstag, 12. Oktober, um 19 Uhr in der Wiener Hauptbücherei am Gürtel, im Rahmen der Kriminacht.)