Bayreuths "Tristan"-Regisseur über die wagnersche DNA

Arnarsson freut sich auf seinen Bayreuther "Tristan"
Am Donnerstag fällt der offizielle Startschuss für die Bayreuther Festspiele, wenn mit "Tristan und Isolde" die heurige Neuinszenierung gezeigt wird. Tags zuvor präsentieren jedoch bereits zum dritten Mal einige Musiker kostenlos und unter freiem Himmel Musik für ein breites Publikum, heuer unter dem Motto "Bach bis Lloyd Webber".

Ansonsten steht aber auch 2024 der Grüne Hügel ganz unter dem Motto "Wagner" - ungeachtet einer von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) angestoßenen Diskussion, ob in Bayreuth auch andere Werke als die des Meisters gespielt werden sollten. Bayern werde diesem Traditionsbruch nicht zustimmen, hatte Kunstminister Markus Blume (CSU) bereits klargestellt.

Und wartet die Wagner-Welt am Donnerstag bereits gespannt auf den neuen "Tristan" unter der Regie des Isländers Thorleifur Örn Arnarsson und unter musikalischer Leitung von Semyon Bychkov. Arnarsson ist dabei kein Wagner-Neuling, hat der 46-Jährige doch bereits den "Lohengrin" und den "Parsifal" inszeniert. Der "Tristan" jedoch sei Wagners menschlichste Oper, unterstreicht er im dpa-Interview. Und er berichtet davon, wie er sie in einer kleinen Hütte an einem Vulkan unter Nordlichtern neu entdeckte.

Frage: Sie inszenieren zwar nicht das erste Mal Wagner, aber zum ersten Mal auf dem Grünen Hügel. Ist das etwas Besonderes für Sie?

Thorleifur Örn Arnarsson: Ja, natürlich. Die wagnersche DNA durchfließt hier alles. Aber vielleicht noch wichtiger ist, dass man in Bayreuth ein wenig abseits der Welt zu arbeiten scheint. Man hat den Eindruck, sich auf einer Insel zu befinden, auf der alles auf die Entstehung eines Kunstwerks ausgerichtet ist und alles zusammenspielt. Das ist natürlich sehr besonders. Normale Häuser haben bis zu 18 Premieren im Jahr, das ist ein ganz anderer Rhythmus. Die Konzentration ist hier eine ganz andere.

Frage: Die letzte "Tristan"-Version in Bayreuth ist noch gar nicht so lange her: 2022 brachte Roland Schwab hier eine sehr utopische, romantische Version auf die Bühne. Die von Katharina Wagner war sehr viel düsterer, fast dystopisch. Wie ist Ihr "Tristan" denn?

Arnarsson: Es ist natürlich eine der größten Tragödien, die jemals geschrieben worden ist. Das Werk schwebt zwischen Liebe und Tod als Gegenpole, die aber ohne einander nicht zu denken sind. Ich glaube, wenn man da allzu romantisch rangeht, liegt man falsch, denn es geht um eine tiefsinnige Auseinandersetzung mit Wut, mit Verletzung, mit Verlust und auch mit der Unmöglichkeit, man selbst sein zu können. Es geht darum, seinen wahren Bedürfnissen zu begegnen in einer Welt, die diese nicht zulässt, also um ein Ringen mit sich selbst und der Welt um einen herum und die Frage, wie da Liebe überhaupt möglich ist. Und dennoch: man kann diesem Werk nur gerecht werden, wenn man mitdenkt, dass es um zwei Menschen geht, die einander trotz allem lieben und eine tiefe Sehnsucht nach dem anderen haben. Das ist dann eine Liebe, die jenseits aller Wirklichkeitserscheinungen steht. Deswegen ist es mir wichtig, diese beiden Seiten zu zeigen und auch, wie kurz der Weg von tiefster Enttäuschung bis in die größte Euphorie ist – und wieder zurück. Dies ist auch, was ich an diesem Stoff so unfassbar menschlich finde. Das liegt am großartigen Libretto ebenso wie natürlich an der Musik, die meist schon etwas weiter ist, die oft mehr zu wissen scheint, als es sich die Protagonisten selber einzugestehen trauen. Als wäre das Orchester der gesungenen Emotion an manchen Stellen einen Schritt voraus, als bilde es die Wellen des Unterbewusstseins ab, die hochkochen.

Frage: Würden Sie sagen, es ist die menschlichste Wagner-Oper?

Arnarsson: Ja. In "Parsifal", den ich kürzlich inszeniert habe, habe ich eine sehr spirituelle und auch eine sehr gesellschaftskritische Oper gesehen. Aber im "Tristan" geht es um eine tiefmenschliche Problematik. Das ist bestimmt der menschlichste aller Wagner-Stoffe.

Frage: Was heißt das für Ihre Inszenierung?

Arnarsson: Wir wollen reale Menschen auf der Bühne zeigen. Wagner lässt, wie gesagt, viele Diskrepanzen zwischen dem Gesagten und der Musik zu. Da wird Brutalität mit schöner Musik unterlegt und umgekehrt, um tatsächlich einen tiefen Einblick in die menschliche Psyche darzustellen. Es ist ein Schwanken zwischen unheimlich privaten Momenten und ganz großen Bildern. Ich wollte daher den Menschen in den Vordergrund stellen. Das heißt für die Probenarbeit, ganz nah mit den Darstellern zu arbeiten und mit ihnen diese emotionale Reise zu entwickeln. Teilweise kennen sie den Stoff so gut, und es ist das Schöne an Wagner, dass es eine Reise ist, die nie zu Ende geht. Man entdeckt immer wieder etwas Neues.

Frage: Was war das in Ihrem Fall bei dieser Inszenierung? Was haben Sie entdeckt, was Sie vorher an der "Tristan"-Oper noch nicht so kannten?

Arnarsson: Die Arbeit an dieser Oper trat in einem Moment in mein Leben, in dem viele der darin verhandelten Emotionen auch für mich Realität waren. Ich saß an einem Winterabend in meiner kleinen Hütte auf dem isländischen Hochland in der Nähe des Vulkans Hackler. Es war ein Abend mit ganz vielen Nordlichtern, und dann habe ich die Oper aufgelegt und durchgehört. Und ich habe einmal mehr festgestellt, wie viel Allgemeingültiges, eben "Menschliches" in diesem Stück liegt, wie man sich selbst darin wiedererkennen kann, in diesem Ringen mit sich selbst. Dieses Gefühl wollte ich gemeinsam mit den Darstellern erzeugen. Und dabei entdeckt man eben immer wieder Neues, über sich und seine Umgebung. Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben ist der "Tristan" jedenfalls der absolut richtige Stoff.

Frage: Mit einer Bayreuther-Premiere erreicht man eine Öffentlichkeit, die noch ein bisschen größer ist als sonst. Haben Sie Respekt davor? Haben Sie Angst vor dem Bayreuther Publikum?

Arnarsson: Ich denke einfach nicht so viel darüber nach. Und nein, Angst habe ich keine, auch nicht vor Buhs. Wir versuchen, sehr nah am Text und der Musik, an den Emotionen im "Tristan" zu arbeiten und ich hoffe, dass dies verstanden wird. Das Schlimmste wäre für mich Gleichgültigkeit. Aber ich mache keine Art von Theater, die von der Provokation lebt. Das wäre mir zu billig.

(Das Gespräch führte Britta Schultejans/dpa)

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