APA - Austria Presse Agentur

Beethoven-Binge-Hearing im Wiener Konzerthaus

Für ein heutiges Publikum - und wohl auch einen guten Teil der Musiker - ist sie eine Sitzfleischprobe: Die Beethoven-Akademie, die am 22. Dezember 1808 erklang. Wann jedoch sollte man eine Rekonstruktion dieses legendären und legendär langen Konzertabends wagen, wenn nicht im Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag des Komponisten? Beethoven-Binge-Hearing mit den Wiener Symphonikern im Konzerthaus.

Der bald scheidende Chefdirigent Philippe Jordan hat sich mit seinem Orchester daran gewagt, diesen Olymp mit seinen wagnerianischen Dimensionen von fünf Stunden zu erklimmen. Die Akademie, wie der Benefizabend zugunsten des Komponisten damals genannt wurde, zählt zweifelsohne zu den Marksteinen der abendländischen Kultur. Schließlich wurden an diesem Winterabend die 5. und die 6. Symphonie Beethovens gemeinsam uraufgeführt - neben der Chorfantasie sowie dem 4. Klavierkonzert, der Messe in C-Dur und der Fantasie für Klavier.

In Zeiten der im Multitaskingfuror auf Sekunden reduzierten Aufmerksamkeitsspanne ist dies durchaus eine Herausforderung. Um jedoch nicht wohlfeilem Kulturpessimismus Vorschub zu leisten: Auch das Publikum des Jahres 1808 beklagte sich im Nachhinein über zu viel des Guten und das ungeheizte Theater an der Wien. Und dass Beethoven bei der Chorfantasie das schlecht präparierte Orchester unterbrach und neu ansetzen ließ, gehört zum Anekdotenschatz aus dem Leben des Tonsetzers.

Insofern gestaltete sich der nicht ausverkaufte Abend 2020 doch um einiges angenehmer als jener des Jahres 1808: Das Konzerthaus war beheizt und die Symphoniker im Beethoven-Jahr vorbereitet. Dabei belauerte Jordan wie ein Panther sein Orchester im Spiel, die Musiker lockend, fordernd, mit im Rund verteiltem Augenzwinkern flirtend.

Zugleich blieb die Interpretation der verschiedenen Werke über weite Strecken weit weniger exzentrisch als der Pulttanz des Dirigenten. Es regierte die große Eleganz, die durchaus noble Zurückhaltung. Klangeruptionen wurden nicht auskostet, sondern die Contenance gewahrt. Jordans Deutung hält Beethoven näher an der Klassik als der Romantik, wofür man mit Nicholas Angelich einen passend schnörkellos intonierenden Begleiter hatte, der in den Fußstapfen von Beethoven als Pianist wandelte.

Sehr klar, kammermusikalisch, nicht im schwelgenden Gestus legten die Symphoniker die "Pastorale" an, nahmen die Bässe eher dezent zurück. Der 5. Symphonie wiederum verlor durch diesen Ansatz bisweilen die ihr oft eigene Wucht, während sich im Gegenzug dialogische, ruhige Momente ergaben, die so ungehört waren. Dass die ersten Geigen ihrem Dompteur immer wieder einmal enteilten, trübte den Gesamteindruck der ganz eigenständigen Deutung nur wenig. Standing Ovations waren am Ende der Dank für diese besondere "Schicksalssymphonie".

Für die Symphoniker stellte die "Akademie", die man in gleicher Besetzung am kommenden Samstag in Paris wiederholt, einen ersten Höhepunkt des Beethoven-Jubiläumsjahres dar. Der Zyklus mit sämtlichen Symphonien ist gerade fertig eingespielt, und im Verlaufe des Jahres stehen noch zahlreiche weitere Werke am Konzertplan.

Beim "Frühling in Wien" intoniert man etwa unter Manfred Honeck seltene Lieder des Jubilars und vor allem ist man im Theater an der Wien im Einsatz für den "Fidelio" in der Inszenierung von Oscargewinner Christoph Waltz. Und schließlich steht auch beim traditionellen Open-Air-Konzert "Fest der Freude" am 8. Mai am Wiener Heldenplatz Beethoven im Fokus. Aus dieser Langzeitperspektive betrachtet, sind fünf Stunden Akademie gleichsam eine Petitesse.