APA - Austria Presse Agentur

Bei den Salzburger Festspielen ist man "Verrückt nach Trost"

Ursina Lardi, Devid Striesow, André Jung und Sebastian Blomberg sind tolle Schauspieler. Das stand wohl schon vor der gestrigen Premiere von "Verrückt nach Trost" bei den Salzburger Festspielen fest, und das haben sie bei dieser inklusive Pause dreieinhalbstündigen Aufführung im Max Schlereth Saal der Universität Mozarteum erneut bewiesen. Den Beweis, dass es an diesem Abend um mehr als um Kunstfertigkeit ging, blieb Regisseur und Autor Thorsten Lensing allerdings schuldig.

"Niemand stört uns beim Nachdenken und Spinnen", hatte Blomberg im Vorfeld von den Proben erzählt. "Durch freies, durchgeknalltes Improvisieren setzen wir den Raum in Brand." Da konnte man von Glück reden, dass die riesige Metallröhre, die die beiden Schweizer Architekten Gordian Blumenthal und Ramun Capaul für ihr erstes Bühnenbild auf die Spielfläche wuchteten, keine Gaspipeline, sondern eine hohles Gebilde war, das in der ersten Szene einen Wellenberg darstellte und damit seine konkrete Bedeutung auch schon wieder abgegeben hatte. Gezündet hat das Ganze immer nur stellenweise. Von Flächenbrand konnte keine Rede sein.

"Verrückt nach Trost" beginnt als tragisches Kinderspiel zweier Waisen, bei dem ein Elfjähriger und eine Zehnjährige am Strand typische Eheszenen ihrer Eltern nachspielen, um sie wenigstens in ihrer Fantasie am Leben zu erhalten. Diese stärkste und berührendste Szene mündet schon bald in eine Nummernrevue, die immer wieder für Lacher und auch für darstellerisch intensive Momente sorgt, den stringenten Zusammenhang aber vermissen lässt. "Der könnte auch das Telefonbuch spielen", lautet ein Wiener Kompliment für besonders virtuose Schauspielkünstler. Am Ende hat man das Gefühl: Das Telefonbuch war so ziemlich das Einzige, das von dem Quartett nicht gespielt wurde.

Ursina Lardi glänzt etwa als sprechender Oktopus mit neun Gehirnen ("Ich kann zu jeder Sache neun verschiedene Meinungen haben."), der sich auch in einen Tisch verwandeln kann, als Stabhochsprung-Jungstar und als Altersheim-Insassin. André Jung beginnt eindrucksvoll als Orang-Utan, gibt zwischendurch einen Seestern und endet als vorzüglich küssender Pflegeroboter. Sebastian Blomberg hat als Taucher in voller Montur einen atemberaubenden Auftritt, macht aber auch als Riesenschildkröte gute Figur, während ein Sessel nicht zu seinen stärksten Rollengestaltungen zählt. Devid Striesow hat als falscher Clownfisch einen Kurzauftritt, leidet als Baby an seinen Rabeneltern und als junger Schwuler an Gefühlsarmut und Durchfall.

Im Pressegespräch einige Tage vor der Premiere schwärmten die Darsteller von der einzigartigen Freiheit, die ihnen der Regisseur ließ, der 2019 mit seiner Interpretation von "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde und in der Salzburger Produktion mit insgesamt sieben Koproduzenten aus Deutschland, der Schweiz und Luxemburg erstmals ein komplett eigenes Werk auf die Bühne brachte. Der Text kann zwar immer wieder mit guten Sagern aufwarten (etwa: "Ich habe der Welt nichts zu sagen. Deshalb spreche ich in sechsfüßigen Jamben."), verliert aber rasch den zunächst sorgsam ausgelegten Roten Faden rund um die beiden Waisenkinder Charlotte und Felix (Lardi und Striesow), deren verschiedenen Lebensaltern er lose folgt. Stattdessen biegt er ab in Richtung Märchen. Dabei zählt die einzelne Situation mehr als der erzählerische Bogen.

"Wer an Konzepte glaubt, muss eine ziemlich oberflächliche Erfahrung mit dem Leben gemacht haben", offenbarte Thorsten Lensing, der als genialer Außenseiter des Theaterbetriebs gehandelt wird, in einem im Programmheft abgedruckten Interview sein Verständnis von Regie, dem ein Missverständnis von Theater zugrunde liegt, das ja bekanntlich nicht das Leben ist. "Ich könnte keine Sekunde proben, wenn ich glauben würde, dass meine Inszenierung irgendein Ziel verfolgen, irgendeinen Zweck erfüllen soll", sagt er dort. Gut zu wissen, denn im Laufe des Abends keimt der Verdacht, dass die schöne, angstlose, experimentierfreudige gemeinsame Zeit der Bühnenkünstler schon der ganze Zweck der Unternehmung gewesen sein könnte.

So muss man sich am Ende an die von Lardi als 88-Jährige direkt ins Publikum gesprochenen Schlussworte halten: "Alle werden erlöst!" Vielleicht ist unsere Zeit ja tatsächlich ganz zweckfrei "verrückt nach Trost". Der Premierenapplaus war jedenfalls ausdauernd und überaus herzlich.

(S E R V I C E - Salzburger Festspiele: "Verrückt nach Trost" von Thorsten Lensing (auch Regie), Bühne: Gordian Blumenthal, Ramun Capaul, Kostüme: Anette Guther, Mit Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi und Devid Striesow. Uraufführung in der Universität Mozarteum - Max Schlereth Saal. Weitere Termine am 8., 9., 10., 12., 13., 16. und 17. August. Infos und Tickets unter www.salzburgerfestspiele.at)