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Biden-Team: Trump-Aussagen zu Auszählungen sind "skandalös"

Präsident will zu Briefwahlstimmen Oberstes Gericht anrufen. Kritik kommt auch von SPÖ-Chefin Rendi-Wagner und Grünen-Sprecherin Ernst-Dziedzic.

Das Team des demokratischen Herausforderers Joe Biden hat die Aussagen von Amtsinhaber Donald Trump zu einem möglichen Stopp der Stimmenauszählungen bei der US-Präsidentenwahl als "skandalös" und "beispiellos" zurückgewiesen. Die Rechtsexperten Bidens seien aber für eine gerichtliche Auseinandersetzung gerüstet, erklärte das Wahlkampfteam Mittwoch früh (Ortszeit). Trump hatte zuvor angekündigt, er wolle eine weitere Auszählung der Stimmen vom US-Supreme-Court stoppen lassen.

"Niemals zuvor in unserer Geschichte hat ein Präsident der Vereinigten Staaten versucht, den Amerikanern in einer nationalen Wahl ihre Stimme wegzunehmen", hieß es in der Erklärung von Bidens Wahlkampfchefin Jen O'Malley Dillon. Es stünden mehrere Teams an Rechtsexperten bereit, um einen möglichen Vorstoß von Trump zu bekämpfen. "Und sie werden sich durchsetzen."

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Trump hatte zuvor in einer Rede im Weißen Haus den Wahlsieg für sich beansprucht. Zugleich sprach er von angeblichem "Betrug an der Nation" bei der Wahl und fügte hinzu: "Wir werden vor den Supreme Court ziehen. Wir wollen, dass alles Wählen endet." Vermutlich bezog sich Trump damit auf die nach wie vor laufende Auszählung zahlreicher Briefwahlstimmen. "Wir wollen nicht, dass sie um vier Uhr früh noch Stimmzettel finden und sie zur Liste hinzufügen."

Experten zufolge dürfte die Mehrheit der Briefwähler für Biden gestimmt haben. In manchen US-Staaten - unter anderem im besonders umkämpften Pennsylvania - werden Briefwahlstimmen mit Poststempel vom Wahltag auch dann angenommen, wenn sie einige Tage nach der Wahl bei den Behörden eingehen. Trump hat in den vergangenen Monaten immer wieder angeblichen Betrug bei den Briefwahlen angeprangert, obwohl Experten und Behördenvertreter entschieden widersprechen.

In Österreich übte SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner Kritik am Verhalten von Trump. In seiner Wortmeldung habe der Präsident den Demokraten Wahlbetrug unterstellt. "Er überschreitet damit ganz eindeutig eine demokratiepolitische Grenze, schürt Proteste", so Rendi-Wagner auf Twitter. Das sei "unwürdig und Anlass zur Sorge".

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ging auf diese Aussagen des US-Präsidenten Donald Trump gegenüber der APA vorerst nicht ein. Er zeigte sich über das knappe Rennen bei der US-Präsidentschaftswahl aber generell wenig überrascht. "Wir haben immer gewusst, dass diese Präsidentschaftswahl sehr stark umkämpft sein wird - das ist das Salz in der Suppe der Demokratie", ließ Schallenberg wissen.

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Bei manchen europäischen Kommentatoren scheine nun aber die Enttäuschung durchzuschimmern, dass es doch ein "Kopf-an-Kopf Rennen" sei, kommentierte der Außenminister. "Da braucht es jetzt eine Prise Realismus und Nüchternheit - denn nicht wir Europäer wählen den US-Präsidenten."

Er hoffe aber, dass die US-Wahl keine unendliche Geschichte werde, erklärte Schallenberg. "Wir wollen keine USA der Nabelschau und Introversion. Wir brauchen sie als starker Partner, der nach außen wirkt und sich international engagiert. Wer auch immer letztlich ins Weiße Haus einzieht: Was wir schon jetzt wissen - Europa sollte auf die USA zugehen. Unser Ziel sollte es sein, den Nordatlantik wieder ein Stück kleiner zu machen."

Die Vereinigten Staaten von Amerika seien "unser wichtigster Partner und ein Machtzentrum in der westlichen Welt", hielt Schallenberg fest, der Anfang Februar, knapp vor Beginn der Coronakrise in Europa und den USA, in Washington noch mit Außenminister Mike Pompeo zusammengetroffen war. "Wir brauchen sie in den internationalen Organisationen, wir brauchen sie bei globalen Herausforderungen, wie den Krisenherden in Libyen und Syrien oder der Bekämpfung des Klimawandels."

Die außenpolitische Sprecherin des ÖVP-Regierungspartners, Die Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, zeigte sich "zutiefst irritiert, dass sich der amtierende Präsident Trump bereits zum Sieger erklärt hat, obwohl das Rennen noch völlig offen ist". Das schaffe "eine Atmosphäre falscher Legitimität".

"Die von Trump bekundeten Absichten, die Briefwahl stoppen zu lassen und den Wahlausgang über die Gerichte 'regeln' zu lassen, würden einen gefährlichen Dammbruch bedeuten", sagt Ernst-Dziedzic weiter. Damit missbrauche Trump die Mehrheit im Supreme Court: "Die Aushöhlung der Demokratie in den Vereinigten Staaten ist keine theoretische Frage mehr. Sie hat bereits begonnen. Wenn aber das passiert, was Trump verlangt, dann stirbt die Demokratie in den USA."

Nachdem mit Arizona ein Swing State für die Demokraten wiedergewonnen worden sei, sei noch gar nichts entschieden. Pennsylvania könnte die Wende mit sich bringen, sofern Trump den Prozess nicht konterkariert, was er offenkundig versucht. "Man müsse hier einfach noch abwarten", sagt die Vizeklubchefin.

Für Europa sei die Präsidentenwahl in den USA gerade im Bereich der multilateralen Zusammenarbeit von Bedeutung. "Präsident Trump hat das Verhältnis zur EU bisher wenig wertgeschätzt. Dabei sind die zentralen Herausforderungen wie etwa die Klimakrise nur in gemeinsamer Anstrengung zu meistern", gab Ernst-Dziedzic zu bedenken.

Auch in Deutschland zeigten sich Politiker von Regierung und Opposition besorgt. Vizekanzler Olaf Scholz mahnte zu einer Auszählung aller Stimmen. Die Wahlen müssten "komplett stattfinden", so dass das Votum jeden Bürgers und jeder Bürgerin Einfluss auf das Ergebnis haben könne, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Zuvor hatte sich US-Präsident Donald Trump vorzeitig zum Sieger erklärt, obwohl die Auszählung der Wahlergebnisse noch nicht abgeschlossen war.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sah wegen der Unsicherheit über den Wahlausgang in den USA eine "sehr explosive" Lage dort. Es sehe so aus, "dass jetzt die Schlacht um die Legitimität des Ergebnisses, wie immer es aussehen wird, begonnen hat", sagte die CDU-Chefin. Offensichtlich werde der Wahlkampf jetzt auch nach der Wahl fortgesetzt.

Kramp-Karrenbauer widersprach der Darstellung von US-Präsident Donald Trump, er habe bereits die Wahl gewonnen. "Diese Wahl ist noch nicht entschieden", betonte die CDU-Politikerin, denn "die Stimmen werden noch ausgezählt". Sie warnte angesichts des Auftretens von Trump vor "einer Verfassungskrise in den USA". Dies sei "etwas, das uns insgesamt sehr beunruhigen muss".

Dass Trump noch vor Auszählung aller Stimmen den Wahlsieg beanspruche, führe zu einer "kritischen, bestürzenden Situation", sagte FDP-Chef Christian Lindner. Der Linke-Politiker Gregor Gysi kritisierte die vorzeitige Siegeserklärung als "absolut unmöglich".