Big Sista: Gertraud Klemms neuer Roman "Einzeller"

Gertraud Klemm hat ein neues Buch geschrieben
Ein Bienenstock als Symbol für eine feministische Frauen-WG? Bienenfleißig, unermüdlich und solidarisch? Männer nur für die Fortpflanzung geduldet? In höchster Not ein giftiger Stachel ausfahrbar? Simone Hebenstreit, 59-jährige "Altfeministin", hat den Namen für ihre neue Wohngemeinschaft aus fünf erwachsenen Frauen nicht schlecht gewählt. Sie ist die Hauptfigur in Gertraud Klemms Roman "Einzeller", der am Weltfrauentag in Literaturhaus am Inn in Innsbruck präsentiert wird.

"Dieser Frauentag. Das ist kein Protesttag, das ist ein Schlag ins Wasser, Jahr für Jahr. Immer sagen wir unsere Sprücherl auf und niemand hört uns zu. Es sind immer dieselben Frauen auf denselben Straßen, mit den immer selben Transparenten", argumentiert Simone in ihrer Frauenrunde. Doch ganz stimmt das nicht, muss sie zugeben. "Es heißt jetzt Feministischer Kampftag. FLINTA*-Tag. Für weiblich gelesene Personen und alle, die dazugehören wollen." Und schon sind wir mitten in der Grundproblematik des Buches, die auch der Protagonistin zu schaffen macht: Alles ändert sich. Die Gesellschaft ändert sich. Junge Frauen beschäftigen sich mit ganz anderen Themen als ihre Mütter und Großmütter. Doch der Grundwiderspruch, die strukturelle Ungleichheit, bleibt bestehen. Und immer weniger wollen das hören. Mit ihrem Beharren auf die alten Argumente wirkt die in den Kampfjahren der 1970er an der Seite von Johanna Dohnal und anderen gestählte alte Generation wie Saurier, die ihr Aussterben nicht wahrhaben wollen.

Klemm, 1971 in Wien geboren, studierte Biologin und seit 2006 vielfach ausgezeichnete Autorin, hat sich in ihren Büchern ("Aberland", "Herzmilch", "Muttergehäuse", "Erbsenzählen", "Hippocampus" etc.) immer wieder mit der Situation der Frauen und dem Frauenbild in unserer Gesellschaft beschäftigt. "Einzeller" versucht, die aktuellen Debatten auf den wunden Punkt zu bringen, und zeichnet gesellschaftlich ein düsteres Bild: Konservative Politik bringt erkämpfte Errungenschaften wie die Fristenlösung unter Druck, Wokeness und Diversitätsdebatten sind unter der jungen Generation deutlich angesagter als die ollen Kamellen der alten Tanten. Die Personifizierung der beiden Problemzonen sind der konservative Finanzminister, eine Jugendliebe von einst, mit der Simone eine heimliche Affäre hat, und die Studentin Lilly, das "WG-Küken", die kaum versteht, was die vier anderen deutlich älteren Mitbewohnerinnen dauernd für Probleme diskutieren - bis sie selbst eines hat, das den erfahrenen Geschlechtsgenossinnen nur allzu bekannt vorkommt.

Die junge, attraktive Lilly sorgt mit BH-losem Auftritt in einer Sendung aus der WG für hohe Aufmerksamkeit und viel Erregung. Denn der Bienenstock ist einer der Schauplätze des neuen Reality-TV-Formats "Big Sista" (als Analogie zu "Big Brother"), wo in regelmäßigen Abständen aus den unterschiedlichsten Perspektiven "Frauenthemen" diskutiert werden - die harmlosen, apolitischen Omas und die jungen queeren Frauen in den anderen ausgesuchten WGs sind jedoch potenziell quotenträchtiger.

Ähnlich wie Mareike Fallwickl im Vorjahr in ihrem grandiosen Roman "Die Wut, die bleibt" spart Gertraud Klemm nicht an Kritik an der Gesellschaft und Selbstkritik an manchen Frauen-Positionen, doch bringt sie immer wieder Humor oder bewusste Tabubrüche mit ins Spiel. Das macht "Einzeller" zu einem durchgängig relevanten, streckenweise aber auch überraschend unterhaltsamen Buch. Ein Täuschungsmanöver. Das Ende kommt knüppeldick. Und für Simone nicht überraschend: "Das Patriarchat ist ein Krieg der Männer gegen das Weibliche." Und kein Krieg ohne Opfer.

(S E R V I C E - Gertraud Klemm: "Einzeller", Kremayr & Scheriau, 312 Seiten, 24 Euro. Lesungen am 8. März, 19 Uhr, im Literaturhaus am Inn, Innsbruck, Josef-Hirn-Straße 5; am 9. März, 19 Uhr, im Literaturhaus Wien, Wien 7, Seidengasse 13)

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