APA - Austria Presse Agentur

Botschafter sieht schlimmere Lage als im Zweiten Weltkrieg

Der ukrainische Botschafter in Wien, Wassyl Chymynez, hat Russland vorgeworfen, sein Land mit bewussten Angriffen auf die Zivilbevölkerung in die Knie zwingen zu wollen. Nachdem der schnelle militärische Erfolg ausgeblieben sei, führe der Aggressorstaat nun einen Psychokrieg, sagte Chymynez am Donnerstag im APA-Gespräch. "Es ist viel schlimmer als die Bilder, die wir aus dem Zweiten Weltkrieg kennen", sagte Chymynez mit Blick auf die Zerstörungen in den ukrainischen Städten.

So sei die ostukrainische Millionenstadt Charkiw "total zerstört, dem Boden gleichgemacht". Die Hafenstadt Mariupol sei bereits seit zehn Tagen komplett eingekesselt. "Kinder sterben dort an Dehydrierung", schilderte der Diplomat. Die Methoden, die Russland einsetze, seien "schlimmer als jene Nazi-Deutschlands", führte Chymynez die Argumentation Moskaus, in der Ukraine gegen vermeintliche Nazis und Faschisten zu kämpfen, ad absurdum.

Die ersten zwei Wochen hätten gezeigt, "dass die russische Propaganda, die auch in Österreich sehr erfolgreich war, nur ein Bluff war", so Chymynez unter Verweis auf Militärexperten, die seinem Land nach Kriegsausbruch nicht mehr als 48 Stunden gegeben hatten. Man habe gesehen, "wie stark der Widerstand ist". Nun versuche der russische Präsident "die Ukrainer psychologisch zu vernichten, indem er seit zehn Tagen einfach Zivilisten tötet".

Chymynez zeigte sich aber überzeugt, dass auch dieser Plan nicht aufgehen werde, weil die Bewohner des Landes ungeachtet ihrer sprachlichen Identität gemeinsam für ihre Freiheit kämpfen. "Alle Ukrainer verstehen, worum es geht. Die Menschen in der Ukraine wollen dieses Modell von Putins Russland nicht", sagte er mit Blick auf den autoritär regierten Nachbarstaat. "Sie (die Russen, Anm.) haben einige Gebiete erobert, aber die Menschen werden sie nie erobern."

"Natürlich ist die Lage dramatisch, ich will nichts schönreden", sagte Chymynez. Der Krieg könne "noch lange dauern oder schneller zu einem Ende kommen". Wie lange er dauere, hänge auch davon ab, wie sich der Westen verhalte. Je mehr er zuschaue, umso länger werde der Krieg dauern. "Wenn wir möchten, dass der Krieg sehr schnell zu Ende geht, müssen wir hart bleiben", appellierte er an eine konsequente Verfolgung der Sanktionspolitik.

Chymynez warf im Vorfeld des ersten russisch-ukrainischen Außenministertreffens die Forderungen des Aggressorstaates entschieden zurück. "Wir wollen nur über ein Ende des Krieges reden", betonte er. Dafür sei Präsident Wolodymyr Selenskyj auch zu Gesprächen mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin bereit. Schließlich sei der Krieg auch "furchtbar für Russland", sagte der Diplomat unter Verweis auf - bisher unabhängig nicht bestätigte - Berichte, wonach die russische Armee bereits 12.000 Menschen im Krieg verloren habe. Die russische Armee sei "demoralisiert", und die Menschen in Russland bekämen die Sanktionen bereits zu spüren. Nun sei wichtig, dass auch die Bilder vom Krieg die Menschen in Russland erreichen. Auch bei Putin sehe er bereits Anzeichen dafür, "dass er Angst hat". Denn der Krieg werde "auch für ihn das Ende sein", so Chymynez.

Chymynez appellierte auch an die österreichische Wirtschaft, "keine Geschäfte mit Russland" zu machen. Auf Nachfrage betonte er, dass damit auch Öl und Gas gemeint ist. Schließlich würden jegliche Zahlungen nur die Fähigkeiten des Kreml stärken, den Krieg weiterzuführen. "Die Wirkung dieser Einnahmen sehen sie heute in der Ukraine", betonte er. Österreich müsse sich dabei fragen, wie es habe passieren, können, dass es in eine so starke Abhängigkeit von Russland habe geraten können.

"Überhaupt kein Thema" für die Ukraine sei die Neutralität, bekräftigte Chymynez. Die Debatte darüber sei ein Beispiel für den Erfolg der russischen Propaganda. "Die Ukraine war im Jahr 2014 ein neutrales Land und das hat uns nicht geholfen", sagte er mit Blick auf die damalige Annexion der Halbinsel Krim sowie die Einsetzung pro-russischer Marionettenregime in Teilen der Ostukraine. Wenn man einen Nachbarn habe, der einen nicht nur attackiere, sondern auch "schon Teile des Hofs weggenommen hat", dann müsse man sich verteidigen. Und wenn man dies alleine nicht schaffe, müsse man andere um Hilfe bitten. Es komme auch nicht von ungefähr, warum die an Russland angrenzenden Staaten in die NATO wollen. "Das liegt sicher nicht daran, weil die NATO so sexy ist."

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)