APA - Austria Presse Agentur

Neue Corona-Medikamente keine "Ausrede" für Nicht-Impfen

Wahrscheinlich werden in nächster Zukunft zumindest zwei Covid-19-Medikamente in Tablettenform auch in der EU zugelassen und erhältlich werden.

"Das kann aber keine Entschuldigung dafür sein, sich nicht impfen zu lassen", betonte Samstagvormittag der Wiener Infektiologe Florian Thalhammer (MedUni Wien) beim 1. Österreichischen E-Impfkongress (online).

In Großbritannien wurde vor wenigen Tagen der Wirkstoff Molnupiravir zur Behandlung von Covid-19 zugelassen. Dieses Mittel werde wohl auch das erste derartige in der EU sein, sagte Thalhammer. Doch dann sei in der Folge mit der Virus-Protease-Kombination PF-07321332/Ritonavir mit dem zweiten oral einzunehmenden Covid-19-Arzneimittel zu rechnen. "Hoffen wir, dass wir damit wirklich ein Licht am Ende des Tunnels sehen", erklärte der Experte. Bei genauer Analyse der vorliegenden wissenschaftlichen Informationen zu den zwei Medikamenten mit unterschiedlichem Wirkprinzip zeigt sich allerdings, dass noch viele Fragen ungeklärt sind. Eines ist laut Thalhammer bereits klar: "Je früher man mit der Therapie anfängt, desto besser."

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Molnupiravir wirkt gegen SARS durch Einführung von Kopierfehlern in die Replikation der RNA von SARS-CoV-2 während der Virusvermehrung. "Es entsteht ein Aminosäuren-Kauderwelsch", schilderte der Infektiologe. Das verhindere die Entstehung von neuen Viren. Bekannt sind solche Nukleosid-Analoga seit mittlerweile Jahrzehnten aus der HIV/Aids-Therapie. Entwickelt wurde Molnupiravir ursprünglich als Influenzamedikament. Der Effekt der Substanz ist Dosisabhängig. Das Arzneimittel muss zweimal täglich (je 400 Milligramm) eingenommen werden.

Ein Problem: Die Resultate aus der klinischen Studie schwankten deutlich zwischen einer frühen Zwischenauswertung und der Analyse der gesamten Studienpopulation, wie Thalhammer anführte: In der Zwischenauswertung mussten 28 von 385 behandelten Probanden wegen eines schweren Krankheitsverlaufs ins Spital aufgenommen werden (7,3 Prozent) oder verstarben, in der Placebo-Gruppe waren es 53 von 377 Patienten (14,1 Prozent). Daraus ergab sich eine zunächst publizierte Wirksamkeit von rund 50 Prozent. Als aber die Informationen von allen aufgenommenen Patienten untersucht wurden, schrumpfte die Schutzrate auf nur noch rund 30 Prozent. Unter den Behandelten waren 48 von 709 Patienten ins Spital gekommen oder verstorben (6,8 Prozent), in der Placebogruppe 68 von 699 (9,7 Prozent).

Mehrere Studien-interne Faktoren könnten dabei eine Rolle gespielt haben, meinte Thalhammer. Die Impfung gegen Covid-19 mit einer Schutzrate von 95 Prozent sei dagegen immer die erste Wahl.

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Anders wirkt das vom US-Pharmakonzern entwickelte PF-07321332/Ritonavir (Paxlovid). Es handelt sich bei der ersten Wirksubstanz um einen Hemmstoff eines spezifischen Protease-Enyzyms von SARS-CoV-2. Ritonavir ist ebenfalls ein Proteasehemmer. Letztere Substanz ist seit langem in HIV/Aids-Medikamenten - ebenfalls in Kombination mit einem HIV-Proteaseblocker - enthalten und sorgt erst für eine längere Verfügbarkeit und Wirksamkeit der anderen enthaltenen Substanz im Körper.

Im Gegensatz zu Molnupiravir wurden zu dem Pfizer-Medikament bisher keine Daten wissenschaftlich präsentiert, weder bei einem Kongress noch in einer Fachzeitschrift. "Es gibt nur eine Presseaussendung", sagte der Wiener Infektiologe.

Insgesamt laufen drei Wirksamkeitsstudien. Was Pfizer publik machte, sind Daten aus der sogenannten EPIC HR-Untersuchung in einer Zwischenauswertung. Bei den aufgenommenen Probanden handelte es sich um Personen mit früher SARS-CoV-2-Infektion und einem hohen Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf.

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Bei einer Behandlung innerhalb von drei Tagen nach Auftreten von Covid-19-Symptomen kam es zu einer Reduktion von Spitalsaufnahmen oder Todesfällen um 89 Prozent. Drei von 389 Behandelten (0,8 Prozent) zeigten einen derartigen Verlauf, hingegen 27 von 385 Patienten in einer Placebogruppe (sieben Prozent). Über einen Zeitraum von 28 Tagen gab es keinen Todesfall unter den mit dem echten Medikament behandelten, hingegen zehn (1,6 Prozent Mortalität) in der Placebo-Gruppe.

Was bei einer Anwendung dieses Arzneimittels auf jeden Fall zu beachten sein wird: Ritonavir in der Proteasehemmer-Kombination führt zu einer starken Hemmung eines Cytochrom-Enyzms (CYP3A4), was auch den Effekt anderer Arzneimittel stark beeinflussen kann. Deshalb muss immer eine Kontrolle auf möglicherweise drohende Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln vorgenommen werden.

Abseits der direkten Effekte solcher Medikamente für die Behandelten selbst, könnten sich auch durch Abkürzung der Dauer einer Virusausscheidung einen Einfluss auf die Übertragungsrate auf andere Menschen haben. Außerdem könnte man eventuell durch eine Prophylaxe im möglichen Falle einer Ansteckung die notwendige Quarantänedauer für Kontaktpersonen abkürzen. Jedenfalls war bei mit Molnupiravir Behandelten nach drei Tagen nur noch in fünf Prozent der Fälle SARS-CoV-2 nachweisbar, nach fünf Tagen bei keinem der Patienten.