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Coronavirus: Fernlehre dürfte Virus bisher nicht gebremst haben

Die Umstellung auf Distance Learning in den Oberstufen dürfte die Verbreitung des Coronavirus unter Schülern bisher nicht ausgebremst haben, wie Daten des Bildungsministeriums vermuten lassen.

Demnach ist in Salzburg und Tirol nach der Umstellung der Oberstufen auf Fernunterricht der Anteil der 15- bis 19-Jährigen unter allen Covid-19-Fällen zwar zurückgegangen, allerdings weniger stark als der Anteil der 10- bis 14-Jährigen, die weiterhin normalen Präsenzunterricht hatten. Für die Aufstellung hat das Ministerium die Kalenderwoche 43, in der in Salzburg und Tirol die Oberstufen ins Distance Learning geschickt wurden, mit der darauffolgenden Herbstferienwoche verglichen. In diesem Zeitraum gab es in beiden Bundesländern einen deutlichen Anstieg der Covid-19-Positiven. Unter den Zehn- bis 14-Jährigen, die normalen Präsenzunterricht hatten, fiel er jedoch deutlich geringer aus als unter den 15- bis 19-Jährigen und blieb laut Ministerium insgesamt "deutlich unter dem Durchschnitt". Konkret gab es in Salzburg bei den älteren Schülern einen Anstieg von 119 auf 150, bei den Jüngeren von 83 auf 87. In Tirol stiegen die Zahlen bei den Älteren von 134 auf 169, bei den Jüngeren von 130 auf 134.

"Es gibt derzeit keinen Hinweis, dass die Umstellung auf Distance Learning etwas bringt", betonte dazu Volker Strenger von der Grazer Uni-Klinik für Kinder und Jugendheilkunde gegenüber der APA. "Kontakte von Kindern und Jugendlichen finden ja nicht nur in den Schulen statt." Bei Freizeitkontakten gebe es allerdings im Gegensatz zu den Schulen keinen kontrollierten Ablauf, der noch eher vor Ansteckungen schütze. Der Leiter der Arbeitsgruppe Infektiologie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) verwies in diesem Zusammenhang auch auf Daten aus Kärnten, wo in Zusammenhang mit den Schulferien die Zahl der Freizeitcluster unter Jugendlichen gestiegen sei.

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Kinder stecken sich seltener an

Bei einem Online-Pressegespräch der ÖGKJ betonte Strenger erneut, dass Kinder und Jugendliche sich deutlich seltener mit dem Coronavirus anstecken würden als Erwachsene - bei den Unter-14-Jährigen liege die Wahrscheinlichkeit einer großen Metastudie zufolge bei 50 Prozent - und nicht nur deutlich seltener symptomatisch erkranken, sondern das Virus auch seltener und an weniger Personen weitergeben würden als Erwachsene. Eine große Studie aus Indien belege, dass Ansteckungen vor allem innerhalb derselben Altersgruppe erfolgen und Kinder deutlich öfter von ihren Eltern angesteckt werden als umgekehrt. Eine große Studie aus Großbritannien wiederum habe gezeigt, dass Erwachsene, in deren Haushalt Kinder leben, sich nicht häufiger mit Sars-CoV-2 infizieren.

Auch in den Schulen ist dies trotz der zahlreichen Kontakte nicht anders, so Strenger. So habe es im Frühjahr keine Unterschiede bei den Infektionen unter Kindern in Schweden und Finnland gegeben, obwohl in Schweden Kindergärten und Volksschulen offen waren, während in Finnland auf Fernunterricht umgestellt wurde. Ähnliche Belege gebe es auch für Österreich, wo der Anteil der Schulkinder an allen Covid-Fällen mit den Sommerferien gestiegen und seit dem Schulbeginn wieder zurückgegangen sei. Das Gegenbeispiel Israel ist laut Sprenger wegen der Unterschiede bei Schulsystem und Gesellschaft schlicht nicht mit mitteleuropäischen Schulen vergleichbar.

Keine positiven Auswirkungen durch Schulschließungen

Schulschließungen hätten keine bewiesenen positiven Auswirkungen auf das allgemeine Infektionsgeschehen, fasste Sprenger zusammen, aber viele negative Auswirkungen auf die Bildung der Kinder, auf deren psychosoziale Gesundheit, auf ihre Familien und die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft. Dazu komme das Problem, dass geschlossene Schulen und Kindergärten auch dazu führen würden, dass ein Teil der Eltern für die Kinderbetreuung auf Großeltern zurückgreifen müsse und damit die Infektionsgefahr für diese Gruppe steige. Wenn wegen Schulschließungen Gesundheitspersonal daheimbleiben müsse, könnte dies sogar dazu führen, dass die Mortalität durch Corona steige, warnte ÖGKJ-Generalsekretär Reinhold Kerbl vom LKH Hochsteiermark/Leoben.

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Kerbl betonte, dass sich mittlerweile eine "Allianz der Besorgten" gebildet habe, die die Schließung von Schulen im Kampf gegen das Coronavirus als letzte Möglichkeit betrachten. "Das ist ein Experiment, für das es keine wissenschaftliche Grundlage gibt", sagte er und richtete eine Spitze gegen jene Gruppe von Wissenschaftern, die am Montag eine sofortige Schließung der Schulen gefordert hatten. "Es wäre gleich, wenn sich die ÖGKJ zu Quantentheorien meldet und die Quantentheorie infrage stellt, wenn Physiker glauben, ihre Argumente über die Pandemie Sars-CoV-2 in Umlauf bringen und damit auch Angst und unnötige Besorgnis erzeugen zu müssen."

Arbeiterkammer fordert offene Schulen

Die Arbeiterkammer hat ihre Forderung nach einem Offenhalten wiederholt. Der Dachverband der Elternvereine für die Pflichtschulen will, dass jene Schulen, die Hygienevorschriften einhalten können, alle Möglichkeiten des Präsenzunterrichts ausschöpfen sollen. Der Familienverband plädierte für eine Erhöhung der Mindestabstände etwa durch Nutzung zusätzlicher Räume, etwa der im Distance Learning befindlichen Oberstufenschüler. Beide forderten neben dem Offenlassen der Schulen außerdem für Maßnahmen, um überfüllte Schulbusse zu vermeiden.

Unterdessen hat eine Gruppe von Eltern von AHS-Oberstufenschülern eine Klage gegen die COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung angekündigt. Sie ortet eine verfassungsrechtlich nicht gedeckte Bevorzugung von Religion gegenüber dem Recht ihrer Kinder auf Bildung, weil die Oberstufen ins Distance Learning geschickt wurden, während Kirchen und Religionsgemeinschaften - auch die nicht gesetzlich anerkannten - vom Veranstaltungsverbot und den generellen Ausgangsbeschränkungen ausgenommen seien. Diese Woche werde ein Individualantrag gegen die Verordnung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebracht, hieß es in einer Aussendung der Initiative Religion ist Privatsache.