APA - Austria Presse Agentur

Coronavirus: Forscher mit neuen Berechnungen

Neue Berechnungen mit möglichen weiteren Szenarien der Ausbreitung der Covid-19-Erkrankungen bzw. Todesfälle haben am Donnerstag österreichische Forscher vorgelegt.

Nach wie vor gibt es große Unsicherheiten - je nach angenommenem Verlauf könnte man ab Anfang April erste Maßnahmen lockern oder müsste sie leicht verschärfen. Eindringlich gewarnt wird vor dem verfrühtem Ende der Maßnahmen.

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Der Chef des Complexity Science Hub Vienna (CSH), Stefan Thurner, warnte im Gespräch mit der APA davor, sich vom leichten Abflachen der Infizierten-Kurve zu optimistisch stimmen zu lassen. Dass sich die Verdoppelungszeit der nachgewiesenen Infektionsfälle in Österreich von zwei Tagen vor rund zwei bis drei Wochen auf derzeit etwa vier Tage erhöht habe, zeige zwar die Wirksamkeit der Maßnahmen. Aber wenn sich alle vier Tage etwas verdoppelt, "ist es fast so schlimm, wie wenn sich etwas alle zwei Tage verdoppelt".

Er plädierte daher für den Blick auf die Zahl der Intensiv-Patienten und Toten. Denn erst jetzt sehe man langsam, wie viele Betten tatsächlich belegt werden und wie viele Betroffene tatsächlich durch das Virus sterben. Und die Verdoppelungszeit bei den Toten liege bei etwa drei Tagen, die Verdoppelungszeit bei den Intensivbetten bei zwei Tagen und sechs Stunden. "Das geht sehr schnell. Da ist derzeit kein Anzeichen, dass das besser wird", so Thurner. Wenn man die Kurve der Todesfälle in Österreich um drei Wochen nach vorne zieht, "liegt sie genau auf der Kurve der Toten in Italien", sagte er zur APA und betonte: "Für eine Entwarnung ist es zu früh."

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Simulationsrechnungen zu Maßnahmen

Das Forscherteam um Niki Popper von der Technischen Universität (TU) Wien und dem TU-Spin-Off dwh GmbH veröffentlichte am Donnerstag Simulationsrechnungen, die zeigen, dass "ab einem gewissen Punkt eine weitere Verschärfung keinen spürbaren Nutzen mehr bringt". Popper betonte ergänzend dazu gegenüber der APA, dass aber punktuell eingeführte, gut durchdachte Maßnahmen - etwa die Zahl der Kontakte bei Risikogruppen einzuschränken - durchaus sinnvoll sein können. Die Wissenschafter gehen davon aus, dass bei Beibehaltung der aktuellen Maßnahmen der Höhepunkt der Krankheitsfälle bald erreicht wird und die Zahl der Infektionen dann zurückgeht.

Wie Thurner warnt Popper vor einem übereilten Ende der Maßnahmen: "Wenn die Kontaktzahl sofort wieder auf das früher übliche Niveau ansteigt, dann wird auch die Zahl der Krankheitsfälle sehr rasch wieder zunehmen", so Popper. Die Forscher haben verschiedene Szenarien berechnet, etwa dass nach Ostern die Arbeitsstätten wieder geöffnet, die Schulen aber geschlossen und die Freizeitkontakte um die Hälfte reduziert bleiben. Dann würde die Zahl der COVID-19-Erkrankungen über den Sommer kontinuierlich zurückgehen, wenn auch etwas langsamer als beim Beibehalten der derzeitigen Maßnahmen. Sollten aber die Arbeitsstätten nach Ostern wieder geöffnet werden und die Schulen ab 4. Mai, also zwei Wochen vor der Matura, würde es zu einem weiteren Anstieg der Krankheitszahlen kommen, das Niveau der ersten Infektionswelle würde damit übertroffen, selbst wenn es weiterhin nur die Hälfte der Kontaktanzahl in der Freizeit gebe.

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Wirksamkeit der Maßnahmen bestätigt

Berechnungen des Wolfgang Pauli Instituts (WPI) in Wien bestätigen "Wichtigkeit und Wirksamkeit" der Maßnahmen, bei ihrer leichten Verschärfung sei von einer Verbesserung der Situation in rund 45 bis 60 Tagen auszugehen. Dabei sei eine noch kurzfristige Zunahme der täglichen Anzahl von Erkrankten "ok", sagte WPI-Direktor Norbert Mauser. In ihrem Szenario haben die WPI-Wissenschafter den Höhepunkt der Epidemie mit einem Maximum von rund 17.000 COVID-19-Erkrankten um den 9. April geschätzt. Aus Sicht Mausers sollten die derzeitigen Maßnahmen unbedingt noch ergänzt werden, u.a. um eine Gesichtsmasken-Pflicht vor allem in Geschäften. Für die Zeit nach den Ausgangsbeschränkungen müssten weitere geeignete Maßnahmen erfolgen, sonst komme es zu einer neuen Erkrankungswelle, so Mauser.

Für nicht sinnvoll hält der österreichische Verhaltensökonom Ernst Fehr von der Uni Zürich das derzeitige Agieren der Politik. Die wichtigste Entscheidungsgrundlage sei derzeit die Anzahl der täglichen Neuansteckungen - "und das ist eine sehr unvollkommene Entscheidungsbasis", so Fehr. "Vordringlichste Aufgabe - und das wird bis jetzt sträflich vernachlässigt -" ist für ihn, eine Zufallsstichprobe über das ganze Land zu erheben. Derzeit würden vor allem Verdachtsfälle getestet. Mit einer wöchentlichen Zufallsstichprobe - für die Schweiz hält er 5.000 Personen für ausreichend - könne man dagegen bessere Aussagen treffen, wer infiziert, wer nicht infiziert und wer bereits immun sei.