APA - Austria Presse Agentur

Coronavirus: "Superspreading" fordert ungewohntes Denken und Handeln

Auf Basis von rund 100 wissenschaftlichen Arbeiten befasste sich ein internationales Forscherteam mit dem Phänomen des "Superspreading" im Zusammenhang mit Covid-19.

Im Fachjournal "Environmental Research and Public Health" kommen die Forscher zu dem Schluss, dass Faktoren des modernen Lebens das geballte Verteilen des Erregers an viele Menschen durch wenige Personen begünstigen. Dem sei nur mit Flexibilität, Geschwindigkeit und Improvisationsbereitschaft beizukommen. Dass die Verbreitung des neuen Coronavirus nicht unbedingt der vom Grippevirus bekannten Logik folgt, wurde im Verlauf der Pandemie nach und nach klar. Hervorstechend ist die Erkenntnis, dass einzelne Menschen, die einerseits viele Viren in sich tragen und andererseits nicht von schweren Symptomen ausgebremst werden, unter bestimmten Bedingungen zu sogenannten Superspreadern werden können.

Forschungsgruppe versucht Gesamtdarstellung 

Dem Phänomen wurde zwar bereits in zahlreichen Studien nachgegangen, allerdings meist nur aus Sicht einzelner Disziplinen wie der Virologie oder Epidemiologie, sagte der Innovations- und Netzwerkforscher, Lukas Zenk, von der Abteilung für Wissens- und Kommunikationsmanagement der Donau-Universität Krems zur APA. Seit März versucht sich die weitreichende, vom ebenfalls in Krems tätigen Transdisziplinaritätsforscher Gerald Steiner etablierte Gruppe um die Erstautoren der Studie an einer Art Gesamtdarstellung.

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Betrachtet man die Gesellschaft als großes Netzwerk, könne man einerseits sagen, dass durch das enorme Bevölkerungswachstum in den vergangenen Jahrzehnten und das Zurückdrängen von Naturräumen das Überspringen von Krankheitserregern von Tieren auf Menschen begünstigt wird. Kommen sich "gestresste" Tiere mit deren Viren und Menschen dann nahe, steigt die Wahrscheinlichkeit für die Ausbreitung sogenannter Zoonosen, wie SARS-CoV-2 eine ist, erklärte Zenk.

Kontaktnetzwerk für "Superspreading" ausschlaggebend

Beim neuen Coronavirus zeigt sich auch, dass nicht ein Infizierter im Durchschnitt in etwa gleich viele Menschen ansteckt, sondern dass dieser Wert erheblich variiert. "Ein paar wenige infizieren viele und viele Leute infizieren wenige. Das führt zum Superspreading", sagte Zenk. Einen starken Einfluss hat hier das Kontaktnetzwerk der Personen. Ist dieses größer und die engeren Kontakte finden etwa in ungelüfteten Räumen, in feuchtfröhlicher Atmosphäre und unter Missachtung von Schutzmaßnahmen statt, ist quasi alles zum "Superspreading-Event" angerichtet.

Das führt laut den Wissenschaftern zu denen etwa Eva Schernhammer von der Medizinischen Universität Wien und der Harvard Medical School (USA) oder der u.a. an der Arizona State University (USA) und dem Wiener Complexity Science Hub (CSH) tätige Manfred Laubichler gehören, dazu, dass "wir in einer sehr unsicheren Zeit leben. Sprich: Das Virus kann jederzeit wieder ausbrechen", so Zenk. Das könnte auch unter anderem erklären, warum es nach dem Sommer trotz geringer Fallzahlen in weiten Teilen Europas nahezu überall eine rapide ansteigende zweite Welle gibt. Denn auch aus sehr wenigen Erkrankungen können unter diesen Umständen rasch deutlich mehr werden.

Auf Veränderungen schnell reagieren

Um dem beizukommen brauche es einerseits zwar gute Pläne, "zusätzlich müssen wir aber auch lernen, auf kurzfristige Veränderungen sehr schnell zu reagieren. Zeit ist hier ein relevanter Faktor", so Zenk. Unter diesen Bedingungen müsse also auch außerhalb der üblichen Routinen gearbeitet werden. "Es passiert etwas, was wir so auf der Welt noch nie hatten", und wofür man schnell Lösungen finden müsse. Der Superspreading-Charakter der Pandemie zeige, dass es mehr Versuche braucht, "sich auf das Unvorbereitete vorzubereiten".

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Dazu wären überdies bessere und aktuellere Daten und eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Institutionen, Ländern und Forschungsbereichen nötig, zeigt die Studie der Forschungsgruppe. Die aktuelle Situation in vielen Regionen zeige, dass das nach der erfolgreichen Eindämmung der ersten Covid-19-Welle offenbar nicht ausreichend passiert ist. "Ich glaube, da gibt es noch Verbesserungspotenzial", sagte Zenk. Aus Netzwerk-Sicht müssten jetzt Kontaktnetzwerke reduziert und damit die Fallzahlen gesenkt werden, um dann eine schnellere und effektivere Kontaktverfolgung umzusetzen. Denn bei all den Nachteilen wohne dem Superspreading-Charakter auch der Vorteil inne, dass genau mit diesen Maßnahmen die Ausbreitung effizient verhindert werden kann.