Kurier/Franz Gruber

Das Coronavirus tobt in Tschechien auf beispiellose Weise

Es vergeht kaum ein Tag in Tschechien, an dem kein neuer Rekord an Neuinfektionen mit dem Coronavirus gemeldet wird. Für den gestrigen Mittwoch waren es im Nachbarland mit 10,7 Millionen Einwohnern 5.335, um fast 1.000 mehr als im Vortag.

Zum Vergleich: In Österreich leben 8,8 Millionen Menschen und zuletzt gab es eine Zunahme an Neuinfektionen in der Höhe von über 1.200. In Tschechien könnte die nächste Tageszahl die 6.000-Marke überspringen. Laut Gesundheitsminister Roman Prymula reichen die bisherigen Restriktionen "offensichtlich nicht" aus, die Reproduktionszahl unter 1,0 zu drücken. Derzeit liegt sie bei rund 1,2.

Im Frühjahr war Tschechien Vorzeigebeispiel bei der Bekämpfung der Infektion. Heute ist es ein Sorgenkind - laut der Statistik der Europäischen Gesundheitsagentur (ECDC) liegt Österreichs Nachbarland schon an der Spitze, was den Index von Neuinfektionen in den vergangenen 14 Tagen umgerechnet auf 100.000 Einwohner angeht. Donnerstag früh waren es 346, da ist aber der Rekord vom Mittwoch noch nicht berücksichtigt. In Österreich lag die Zahl zuletzt vergleichsweise bei 119.

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Die Prager Regierung sah es offensichtlich nicht für notwendig, dass sie im August nicht zusätzliche Schutzmaßnahmen beschlossen hatte, wie damals von Experten empfohlen wurde. Ministerpräsident Andrej Babis griff persönlich ein, um die bereits angekündigten Restriktionen zu kippen. Der angesehene Epidemiologe Rastislav Madar, der hinter der erweiterten Maßnahmen stand, verließ daraufhin die Expertengruppe des Gesundheitsministeriums.

Laut Medien wollte Babis die Wähler vor den Regional- und Teilsenatswahlen (2.-3. Oktober) offenbar nicht verärgern. Als im September die Infektionszahlen beunruhigend zu steigen begannen, führte die Regierung die zuvor gekippten Maßnahmen dann doch eiligst ein. Babis gestand ein, dass "wir alle" Fehler gemacht hätten. Der damalige Gesundheitsminister Adam Vojtech trat zurück und der angesehene Epidemiologe und Oberst a.D. Roman Prymula, der schon im Frühjahr als stellvertretender Gesundheitsminister für ein rasantes Vorgehen gesorgt hatte, trat an seine Stelle.

Allerdings hörte die Kurve von Neuinfektionen nicht auf, weiter stark zu steigen. Immer öfter werden Stimmen laut, die auf mangelnde Disziplin hinweisen, etwa bei der Maskenpflicht. Beispielsweise in der Prager U-Bahn gehört es zum täglichen Bild, dass nicht wenige Fahrgäste entweder keine Maske haben oder diese unter der Nase oder dem Kinn tragen.

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Offensichtlich nervös wurde Prymula, ein Mann mit steinerner Mine, in dieser Woche, als die Tageszahl der Neuinfektionen unerwartet schnell die 4.000-Marke überschritt. Ursprünglich wollte er am morgigen Freitag noch mildere und erst nach einer weiteren Woche, wenn nötig, strengere Schutzmaßnahmen ankündigen. Jetzt zog er die Ankündigung der strengeren Restriktionen für diesen Freitag vor, ohne die weitere Entwicklung abzuwarten.

Laut Prymula sollten diese vor allem die Freizeitaktivitäten und nicht die Wirtschaft betreffen. Die Medien spekulieren über eine komplette Schließung von Bars, Fitnesszentren und die Absage von Kulturveranstaltungen. Weiter beschränkt könnte die Zahl von Personen werden, die - auch im privaten Rahmen - zusammentreffen dürfen. Auch wolle die Regierung verhindern, dass sich Menschen in der Familie anstecken. Deswegen sollten einige Hotels bereitstehen, jene aufzunehmen, die sich vorübergehend von ihrer Familie freiwillig isolieren möchten, heißt es.

Sowohl Prymula als auch Vizepremier und Innenminister Jan Hamacek bestritten, dass am Freitag ein "Lockdown" ausgerufen werden könnte. Für die Zukunft schloss das aber Prymula nicht ganz aus. Die neuen Maßnahmen, die am Freitag angekündigt werden, seien der "letzte Versuch", die Pandemie unter Kontrolle zu bringen. "Wenn das nicht hilft, dann gibt es nur mehr einen Weg: Lockdown", warnte der Gesundheitsminister.