"Das weite Land" im Akademietheater: Auf den Kern reduziert

Barbara Frey tranchiert Schnitzler in penibler Inszenierung
Hängende Schultern, starre Blicke, scharfe Worte: So trist und erdenschwer wie in Barbara Freys bis auf den schmerzvollen Kern zusammengestrichener Inszenierung im Akademietheater sieht man Arthur Schnitzlers "Das weite Land" wohl selten. Und gerade deshalb geriet die Saisoneröffnung am Freitagabend zu einem fesselnden Abend, der noch lange nachhallt. Denn in der Weite der Seele - das ist nach zweieinhalb Stunden klar - kann es ganz schön einsam sein.

Die Reduktion ist dabei auf allen Ebenen Programm: Gespielt wird in Martin Zehetgrubers düsterem Bühnenbild - bis auf das Schlussbild - vor einem semitransparenten, dunklen Vorhang. Drei schwere lederne Clubsessel an der Bühnenrampe, die sich weit voneinander entfernt im Raum verlieren, bleiben die einzigen Requisiten. Im wahrsten Sinne zwischen den Stühlen spielt sich das 1910 uraufgeführte Drama ab, das in dieser Koproduktion mit der Ruhrtriennale, wo das Stück bereits im August Premiere feierte, auf jeglichen Wiener Charme der Jahrhundertwende und den Schein geselliger Leichtigkeit verzichtet.

"Wie Trüffelschweine haben wir diese Sätze seziert, das unglaublich weite und tiefe Hinterland der menschlichen Seele versucht zu erkunden", hat Barbara Lorenz, die eine von sich selbst entfremdete, kalte Genia Hofreiter gibt, im Vorfeld im APA-Gespräch erläutert. Was Frey selbst an "Das weite Land" interessiert, ist "das Spinnennetzhafte, das Weitverzweigte, das Facettenreiche, das Musikalische", wie die Regisseurin sagt. "Es ist die Schönheit des Titels, die sich aufgrund der Eskalationen in Schwärze verwandelt."

Entsprechend dunkel ist die Stimmung bereits zu Beginn, wenn Genia kraftlos in ihrem Sessel hängt, aus dem sie im ersten Akt nicht mehr aufstehen wird. Nach und nach erscheinen die schwarz gewandeten Figuren, die gerade vom Begräbnis des Klavierspielers Korsakow kommen, hinter dem Vorhang und betreten die Hofreitersche Villa, bis endlich auch Michael Maertens als gar nicht jovialer, sondern vielmehr ausgebrannter wie orientierungsloser Glühbirnenfabrikant Friedrich in sein emotional tiefgekühltes Heim zurückkehrt. Wie jene Insekten, von denen in den vom Band kommenden wissenschaftlichen Einspielern zwischen den Akten berichtet wird, fressen sich die Charaktere in den Leichnam der Hofreiterschen Ehe, bis - Frey hat es angekündigt - das bloße Skelett zum Vorschein kommt.

Von dem von Schnitzler lustvoll ausgeschmückten Spiel rund um Liebe und Betrug sind hier nur mehr die nackten Verstrickungen übrig. Fast schon mechanisch dreht sich das Beziehungskarussell, als wäre der Mensch vom Schicksal fremdbestimmt und dazu verdammt, stets das größere Glück zu suchen, wo doch nur Verderben wartet. Neben der sich um Haltung bemühenden Genia und dem aufgeriebenen Friedrich wirken die junge Erna (erfrischend kokett: Nina Siewert) und der Grünschnabel Otto (Felix Kammerer) wie zappelnde Fliegen, die sich im fein gewobenen Spinnennetz des Ehepaars Hofreiter verfangen.

Mit einer herrlich tugendhaften Dorothee Hartinger als Frau Wahl und einem sehr korrekten Itay Tiran als Dr. Mauer haben die beiden quasi ihr umgekehrtes Spiegelbild vor sich. Besonders gelungen ist auch die Besetzung des seit Jahrzehnten geschiedenen Ehepaars Aigner, das Bibiana Beglau in einer Doppelrolle gibt: Während sie als Schauspielerin Anna Meinhold-Aigner in einer intimen Szene mit Genia lesbische Erotik andeutet, verleiht sie dem Hoteldirektor Aigner im dritten - wohl am stärksten gekürzten - Akt die Aura eines verbitterten Hallodri, dem auch allerlei Textzeilen des in dieser Inszenierung weggekürzten Dichters Rohn in den Mund gelegt werden. Blass bleiben hingegen Sabine Haupt und Branko Samarovski als Ehepaar Natter. Die Sprengkraft ihrer Präsenz im Hause Hofreiter durch die ehemalige Affäre Adeles mit Friedrich ist in dieser ansonsten messerscharfen Inszenierung etwas zu kurz geraten.

Nichtsdestotrotz ist Barbara Frey hier ein in den schonungslosen Streichungen erfrischender Schnitzler-Abend gelungen, der viele Erwartungen an einen solchen radikal enttäuschen mag. Vielmehr spiegelt das diszipliniert agierende Ensemble jene Seelenlosigkeit wider, die Schnitzler unter der Oberfläche der fröhlichen Geselligkeit versteckt hat. Das Premierenpublikum zeigte sich nach zweieinhalb pausenlosen Stunden sehr angetan.

(S E R V I C E - "Das weite Land" von Arthur Schnitzler, Regie: Barbara Frey, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Esther Geremus, Musik: Josh Sneesby, Mit: Katharina Lorenz - Genia Hofreiter, Michael Maertens - Friedrich Hofreiter, Bibiana Beglau - Anna Meinhold-Aigner und Doktor von Aigner, Felix Kammerer - Otto, ihr Sohn, Dorothee Hartinger - Frau Wahl, Nina Siewert - Erna, ihre Tochter, Itay Tiran - Doktor Franz Mauer, Branko Samarovski - Bankier Natter, Sabine Haupt - Adele, seine Frau, Koproduktion Burgtheater mit der Ruhrtriennale. Vorstellungen im Akademietheater Wien: 4., 11., 20.9., jeweils 19 Uhr, www.burgtheater.at)

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