Datenreicher Computerwald lässt Klimastress simulieren
Die vielfältigen Eigenschaften von Waldlandschaften beeinflussen Effekte von Dürre oder Insektenbefall und machen es schwer, zukünftige Entwicklungen von Wäldern abzuschätzen. Ein von Seidl und Kollege Werner Rammer entwickelter digitaler Zwilling kann helfen.
In der Fachzeitschrift "Ecological Modelling" stellte das Team um die österreichischen Forscher, die seit einigen Jahren an der Technischen Universität (TU) München tätig sind, nun seinen Ansatz für ein virtuelles 3-D-Modell für Waldlandschaften vor. "iLand 2.0" ist das Ergebnis von zwölf Jahren Entwicklungsarbeit und kann heute Dynamiken wie etwa Baumwachstum und -verbreitung, aber auch ein von Waldbränden, Stürmen und Insektenbefall ausgehendes Absterben auf der Ebene einzelner Bäume simulieren.
Bisher lassen sich mit dem datenintensiven Computerwald 150 Baumarten nachbilden. Der digitale Wald-Zwilling wurde zwar in Mitteleuropa entwickelt, ist jedoch so aufgebaut, dass er bei Wäldern in verschiedenen Erdregionen angewendet werden kann. Getestet wurde das Modell bereits auf drei Kontinenten, etwa für Wälder, wie sie in den gemäßigten Breiten in Österreich, Nordamerika oder Japan vorkommen, an borealen Waldlandschaften, wie sie in Finnland oder Kanada vorherrschen, oder auch an immergrünen Küstenregenwäldern, wie es sie an der Pazifikküste Nordamerikas gibt.
Die Komplexität von Waldlandschaften ergibt sich etwa aus Baumbestand und -dichte, Höhe und Alter der Bäume sowie der Artenvielfalt. "Die Herausforderung ist es, diese Komplexität abzubilden, nämlich in der Fläche", erklärte Rammer. Bei den früher üblichen Ansätzen, in denen man Wälder auf Flächen von z.B. 100 mal 100 Metern im Computer nachgebildet hat, könnten viele Prozesse gar nicht richtig verortet werden, etwa herumfliegende Borkenkäfer oder Migrationsprozesse im Klimawandel - "diese Prozesse sind größerskalig". Mit dem Computerwald der Forscher können diese kleinteiligen Prozesse auf Flächen von bis zu 100.000 Hektar (entspricht in etwa der Waldfläche Vorarlbergs) realitätsnah abgebildet werden. Die Betrachtung der Phänomene auf Einzelbaum-Eben sei auch "das Alleinstellungsmerkmal" des Modells im Vergleich zu anderen bereits existierenden digitalen Wald-Zwillingen, so der Modellierer.
Dem Ansatz liegt aber auch "ein Datenhunger" zugrunde, wie es Seidl formulierte: "Wir versuchen, alle verfügbaren Informationen zum Wald ins Modell zu assimilieren und verwenden etwa auch Datensätze wie vom Flugzeug aufgenommene Laser-Scans vom Wald. Diese werden mit terrestrischen Inventuren, also stichprobenartigen Erhebungen von Waldbeständen kombiniert, welche z.B. detailliert über die Baumarten in der Waldverjüngung Aufschluss geben." Für eine mehrere zehntausend Hektar große Fläche brauche man rund ein Jahr, um alle Daten einzusammeln und zusammenzufügen - natürlich abhängig von der lokalen Datenlage.
"iLand 2.0" ist damit kein "Alltagstool" für z.B. kurzfristige Ertragsprognosen von Waldbesitzern und Waldbesitzerinnen, sondern eher ein Instrument für die Forschung, so Seidl. Aber es hat auch Mehrwert für forstwirtschaftliche Fragestellungen: "Wir können im Computer-Wald z.B. viele verschiedene Behandlungsvarianten für den Wald durchspielen und auf ihre Robustheit gegenüber Klimawandel testen", so Rammer. Das, was in der Realität viele Jahrzehnte dauert, könne hier also in wenigen Sekunden simuliert werden. Das helfe auch Waldbewirtschafterinnen und Waldbewirtschaftern dabei, so Seidl, "schon heute den klimafitten Wald von morgen zu begründen".
- Studie online: https://doi.org/10.1016/j.ecolmodel.2024.110785
- Modell-Website: https://iland-model.org/
- Projekt, welches das Modell bereits anwendet: https://future-forest.eu/)
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