APA - Austria Presse Agentur

Deutsche Wahlkämpfer kritisieren Nullzins-Kurs der EZB

Angesichts der hohen Inflation rückt die Nullzinspolitik der EZB im deutschen Bundestagswahlkampf verstärkt in den Fokus. Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, zeigte sich "alarmiert", dass die Teuerung den Wert von Ersparnissen, Renten, Lebensversicherungen und Bausparverträgen "massiv" schmälere. Er sei sicher, dass die EZB ihrer Kernaufgabe, den Geldwert stabil zu halten, besonders nachkommen werde.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz wurde noch deutlicher: Er forderte von der unabhängigen Notenbank eine Abkehr vom ultra-lockeren Kurs, falls sich die höheren Preise festsetzen sollten.

EZB-Chefin Christine Lagarde will jedoch nicht am Nullzins rütteln. Sie erwartet, dass das mit der Pandemie aufgetauchte Inflationsgespenst verschwindet, wenn die Krise ausgestanden ist. Doch kurzfristig könnte noch mehr Inflationsdruck entstehen als bislang erwartet, warnte ihr Vize Luis de Guindos jüngst. Dies gelte für den Fall, dass durch Lieferkettenprobleme ausgelöste Materialengpässe etwa bei Mikrochips und Halbleitern anhielten. Die Inflation im Euro-Raum ist derzeit bereits so hoch wie seit rund zehn Jahren nicht mehr. Die Verbraucherpreise kletterten im August binnen Jahresfrist um 3,0 Prozent.

Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sieht die Lieferengpässe zwar als Begleiterscheinung des weltwirtschaftlichen Neustarts nach der Corona-Krise 2020 grundsätzlich als ein vorübergehendes Problem. Doch könnten sich die Engpässe auch noch in der ersten Jahreshälfte 2022 dämpfend auf die Produktion auswirken.

Ein banger Blick der Europäischen Zentralbank (EZB) gilt auch den Tarifrunden. Wenn sich Arbeitnehmer einen zu kräftigen Schluck aus der Lohnpulle gönnen, könnte sich der Preisauftrieb verfestigen. Bislang sind laut EZB-Vize De Guindos zwar kaum Auswirkungen der hohen Inflation auf die Lohnrunden zu sehen. "Das könnte sich im Herbst ändern, wenn viele Tarifverhandlungen anlaufen", sagte der Spanier in einem Presseinterview. Die EZB werde dies wachsam verfolgen. Laut der deutschen EZB-Direktorin Isabel Schnabel erwarten die Bürger nun eine kräftigere Preisdynamik, was die zukünftige "Lohndynamik" verstärken könne.

In Deutschland fordern die Gewerkschaften Verdi sowie DBB-Beamtenbund und Tarifunion für den Öffentlichen Dienst der Länder fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt. Am 8. Oktober startet die erste Verhandlungsrunde für die rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigten. Das Ergebnis soll dann laut Verdi auch auf die 1,2 Millionen Beamten übertragen werden.

Laut dem Tarifpolitik-Experten Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut IW stehen die Verhandlungen noch unter dem Eindruck der Pandemie. "Wenn wir die Krise hinter uns gelassen haben, erwarte ich eine expansivere und dann auch aggressivere Lohnpolitik." Die Arbeitnehmervertreter würden dann wohl darauf verweisen, dass sie während der Krise lange still gehalten und zwar Corona-Prämien, aber oft keine strukturellen Prämien erhalten haben. So konnte nun auch die Lokführergewerkschaft GDL im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn Corona-Prämien durchsetzen.

"Wenn die Gewerkschaften mehr Rückenwind durch die Konjunktur haben, können sie in den Verhandlungen auch forscher auftreten", meint IW-Experte Lesch. Bei guter Konjunktur und durch solche Nachholeffekte sei nicht auszuschließen, dass die Lohnpolitik inflationstreibend wirke. Derzeit ist Deutschland nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, aber von einer Lohn-Preis-Spirale meilenweit entfernt.

Laut dem bayerischen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nähert sich Deutschland bei einer Inflationsrate von zuletzt 3,9 Prozent allerdings "nun langsam Werten, bei denen es gefährlich wird", wie er dem "Handelsblatt" sagte. Es brauche eine Obergrenze für den Preisanstieg, bei der zwingend eingeschritten werden müsse. Diese Inflationsbremse sei eine "gemeinsame Aufgabe der europäischen Staaten und der EZB".

Keinesfalls wollen sich die Währungshüter im Frankfurter EZB-Tower aber in Sachen Inflation zu früh aus der Reserve locken lassen, auch wenn das Preisniveau zurzeit weit über ihrem Ziel von 2,0 Prozent liegt. "Eine Straffung der Geldpolitik würde den beginnenden Aufschwung abwürgen und das Erreichen unseres Inflationsziels erneut infrage stellen", warnte EZB-Direktorin Schnabel.

Neuerdings spricht die Zentralbank mit Blick auf das Inflationsgeschehen wieder von einem Buckel (hump): Das bedeutet mit Blick auf die Statistik, dass sich die Inflationskurve nach einem zeitweiligen Plateau wieder abflacht. Diese bereits unter dem früheren EZB-Chef Jean-Claude Trichet gängige Wortwahl zeigt, dass die Zentralbank nach dem Aufflackern der Inflation mit einer Normalisierung rechnet - aber erst ab nächstem Jahr, wenn die Wahlkampfschlacht längst geschlagen ist. Welche Folgen ein möglicher Regierungswechsel in Deutschland nach dem Abgang der Langzeitkanzlerin Angela Merkel haben könnte, war für den EZB-Rat laut Lagarde auf der jüngsten Sitzung kein Thema: "Das kann ich Ihnen versichern", betonte sie vor der Presse.