APA - Austria Presse Agentur

Deutschlands Regierungskoalition ringt um Klimapakt

Wenige Tage vor dem UN-Klimagipfel in New York zu Beginn der kommenden Woche sind Deutschlands Koalitionsparteien aus Union und SPD noch weit entfernt von einem gemeinsamen Vorgehen beim Klimaschutz in Deutschland. Die Zeit drängt, denn Ende der Woche soll ein gemeinsames Paket beschlossen werden. Deutschland hinkt bisher hinter den eigenen Ankündigungen und Klimazielen her.

An dem von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres initiierten "Climate Action Summit" werden auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Umweltministerin Maria Patek teilnehmen. Im Vorfeld des Klimagipfels hatte die UNO die einzelnen Nationalstaaten zudem dazu aufgerufen, Jugenddelegierte zu nominieren. Daher darf die "Fridays For Future-Aktivistin" Anika Dafert als Mitglied der offiziellen Delegation des Bundespräsidenten nach New York mitreisen.

Bereits am Samstag organisiert die UNO erstmals einen Jugend-Klimagipfel ("Youth Climate Summit"), zu dem Hunderte Jugendliche aus der ganzen Welt erwartet werden. Das 75-jährige Staatsoberhaupt begleitet die 17-jährige Salzburger Schülerin im Rahmen eines "Dialogs zwischen den Generationen" zu diesem "Youth Climate Summit". Das Motto lautet: "Intergenerational Town Hall: Young Leaders engage with World Leaders".

Deutschland betreffend war in den dortigen Medien zuletzt ein Volumen zwischen 40 und 48 Mrd. Euro genannt worden, das für ein solches Klimapaket benötigt würde. Doch noch wird in den Parteien gerechnet. Während die Union eine CO2-Bepreisung über den Handel mit Verschmutzungszertifikaten bevorzugt, möchte die SPD die Mittel über eine CO2-Steuer hereinbringen. Dennoch sind Spitzenvertreter beider Parteien zuversichtlich, dass bei der entscheidenden Sitzung des Klimakabinetts am Freitag, 20. September, eine Lösung für Deutschland gefunden wird.

Einige Punkte scheinen schon jetzt außer Streit zu stehen: Deutschland will den Öko-Stromanteil bis 2030 von derzeit 38 auf 65 Prozent erhöhen. 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz, mit der Kohleverstromung wird es laut Plänen 2038 zu Ende sein. Für Fahrkarten im Eisenbahn-Fernverkehr soll die Mehrwertsteuer auf den niedrigeren Satz gesenkt werden, der Nahverkehr ausgebaut werden. Auch eine Abwrackprämie für Ölheizungen gilt als ausgemachte Sache

Doch als der frühere Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kürzlich eine Abgabe auf Tickets von Billigfluganbietern vorschlug, die günstiger als 50 Euro seien, erntete er umgehend harsche Kritik, nicht zuletzt aus der eigenen Partei. Gerade mit der Verkehrswende geht es in Deutschland schleppend voran. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte 2010 das Ziel von einer Million Elektroautos bis zum Jahr 2020 vorgegeben, derzeit ist lediglich ein Zehntel auf Deutschlands Straßen unterwegs.

Die Regierung müsse handeln, forderte dieser Tage die Klima-Allianz Deutschland vor ausländischen Journalisten in Berlin. "Wir wollen nicht, dass die Kanzlerin mit leeren Händen zum Gipfel fährt", sagte die Geschäftsführerin Christiane Averbeck. Die Klima-Allianz Deutschland ist 2007 gegründet worden und vereint 120 Organisationen unter ihrem Dach, von Umweltverbänden über Kirchen und Gewerkschaften bis zu Verbraucherschutzverbänden. Sie geht von 60 Mrd. Euro aus, die für den Klimaschutz in Deutschland aufgewendet werden müssten, von einer Pendlerpauschale bis zur Kerosin-Bepreisung.

"Die Klimaziele 2020 wird Deutschland dramatisch verfehlen", sagte Averbeck. Joachim Fünfgelt, Sprecher der Allianz, verwies auf den Weltklimarat, der gewarnt habe, dass die Zeit davonlaufe: "Für Deutschland erwarten wir ein Sofortprogramm, dass wir das Klimaziel 2020 nachholen", sagte er. "40 Prozent Emissionsminderung müssen wir so schnell wie möglich erreichen."

"Wir haben eine Ambitionslücke und eine Maßnahmenlücke", sagte Fünfgelt. Das Thema stehe "nicht weit oben auf der Prioritätenliste" der Politik. Es reiche nicht für eine Reduktion des Klimas um 1,5 Grad, "ich befürchte, dass ein Kompromiss nicht ausreichen wird". Die Klima-Allianz Deutschland verlangt die möglichst soziale Ausgestaltung und rasche Umsetzung eines Programms, das unter anderem den Ausstieg aus der Kohleförderung und eine CO2-Bepreisung als Preissignal enthalten soll.

Einem Emissionshandel steht die Allianz distanziert gegenüber, weil er ihrer Meinung noch zwei bis drei Jahre für die Umsetzung benötige. Es seien Sektorziele nötig, um Investitionen anzureizen, und "damit die Unternehmen wissen, was auf sie zukommt". Joachim Fünfgelt: "Technisch ist es schon lange möglich, Atom und Kohle durch erneuerbare Energien zu ersetzen, es würde aber den Strommarkt total umkrempeln."

Doch wachse das politische Bewusstsein. Bei den letzten EU-Wahlen sei das Klima fast das wichtigste Thema gewesen, sagte Fünfgelt. Die Klimakrise sei mit Hitzewellen, Überflutungen und Dürren inzwischen auch in Deutschland angekommen, ergänzte Christiane Averbeck. "Je mehr wir es spüren, umso mehr wird sich das Verhalten der Menschen verändern."

Dass das Klimabewusstsein in der Bevölkerung wächst, beweisen nicht nur die Freitagsdemonstrationen auch in Deutschland. Am vergangenen Wochenende haben Tausende Menschen vor den Toren der Automobilmesse IAA in Frankfurt am Main für mehr Klimaschutz und eine Verkehrswende demonstriert. Am Sonntag blockierten Vertreter des Bündnisses "Sand im Getriebe" Eingänge der Messe.

Für kommenden Freitag wird im Zusammenhang mit der "Fridays for Future"-Bewegung mit einer großen Demonstration in Berlin-Mitte gerechnet, die am Brandenburger Tor ihren Ausgang nehmen wird. Am 20. September werden zudem um zwölf Uhr die Kirchenglocken läuten und die Turmuhren um 11 Uhr 55 angehalten.