APA - Austria Presse Agentur

Devotes System im Skandalinstitut in Mattersburg

Praktisch täglich kommen neue, erschreckende Details im Skandal bei der Mattersburger Commerzialbank ans Licht. Mehrere Medien berichteten am Wochenende Einzelheiten aus Zeugeneinvernahmen von Bankmitarbeitern, die durchaus an ein Drehbuch für einen Hollywood-Thriller erinnern, aber doch der heimischen Realität entstammen.

Demnach gab es in der Bank keine Vorstandssitzungen, der Vorstand hielt nichts vom Risikomanagement, das nur Kosten verursache, im Aufsichtsrat soll der Ex-Bankchef Martin Pucher Protokoll geführt haben, Kreditakten waren nicht digitalisiert, ein Vorstandsmitglied unterschrieb Unterlagen blind. Das berichtete "Der Standard".

Laut ORF-Radio- und Fernseh-Berichten herrschte in der Bank ein devotes System. Pucher und die ebenfalls beschuldigte Vorständin Franziska Klikovits sollen zudem seit Jahren nur mehr schriftlich kommuniziert und nicht mehr miteinander gesprochen haben. Von den Bilanzfälschungen und falschen Krediten will keiner der befragten Mitarbeiter etwas mitbekommen haben. Sie dürften von den Chefs, wie man so sagt, "dumm sterben" gelassen worden sein.

In einem ORF-Bericht wurde Klikovits als eine Art Masterbrain hinter den Malversationen dargestellt. Sie sei es gewesen, die viele der Pläne von Pucher in die Tat umgesetzt und so das betrügerische System am Laufen gehalten haben soll. Sie habe, vom Bankschalter zur Vorständin aufgestiegen, jenes Meldesystem umschifft, in dem Kredite eingemeldet werden - die Konsumentenkreditevidenz beim Kreditschutzverband von 1870 (KSV), in der Banken Bonität von natürlichen Personen prüfen, wenn es um einen Kredit geht. 180 Mio. Euro an Krediten waren bei der Commerzialbank fingiert, hieß es im Bericht.

Die Commerzialbank will beispielsweise bei der BAWAG 64,5 Millionen liegen gehabt haben, ebenso viel bei der Oberbank, 64 Millionen bei der Hypo Tirol oder 64,7 Millionen bei der Bank Austria. Das sind Gelder, die es nie gab.

Auch die Erstellung der gefälschten Saldenbestätigungen über Guthaben von 427 Millionen Euro bei anderen Banken scheint laut "Standard" geklärt zu sein. Klikovits ließ das Briefpapier des jeweiligen Instituts zunächst bei Bekannten drucken, später erledigte sie das am Computer selbst, unterschrieben hat Pucher. Die Blankodrucksorten bewahrte Klikovits im Safe auf, dort fanden die Ermittler Briefpapier von elf Instituten.

Um den richtigen Poststempel zu bekommen, scheute Pucher keine Kosten. Er schickte Bekannte durchs Land und ließ sie die heikle Post aufgeben, schreibt die Zeitung. So flog ein Mitarbeiter des SV Mattersburg am 28. Februar 2018 nach Innsbruck, warf die Kuverts am Flughafen ein und flog wieder heim. Aufenthaltsdauer in Innsbruck: 40 Minuten, Reisekosten: 657,13 Euro. Danach gab er Kuverts in Wien, Linz und Klagenfurt auf. Hinterfragt habe er seinen Auftrag nicht, sagte der Bote als Zeuge aus. In den Jahren davor hatte den Job ein Geschäftspartner Puchers erledigt.

Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) pochte auf einen Untersuchungsausschuss auf Bundesebene. Finanzmarktaufsicht, Nationalbank und Finanzministerium seien ja Organe des Bundes, weshalb man in einem U-Ausschuss auf Landesebene nicht die Kompetenz habe, deren Handeln zu untersuchen.

Dass er selbst von der politischen Konkurrenz in die Causa hineingezogen worden sei, sieht Doskozil als Versuch, ihn "anzupatzen", wie er meinte. Es sei doch "lächerlich", dass er etwas mit der Bank zu tun habe. Doskozil gibt sich dennoch gelassen: "Das ist die Politik."

1995 verließ die Commerzialbank den Raiffeisen-Sektor. Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) führte in zeitlicher Nähe dazu nach eigener Darstellung 1997, 2000 und 2002 drei Vor-Ort-Prüfungen durch, ehe die Prüftätigkeit zum Erliegen kam, schreibt das Nachrichtenmagazin "profil". Bis 2015, also 13 Jahre lang, schaute kein Aufseher mehr in Mattersburg vorbei.

Die OeNB erklärte das gegenüber dem Magazin damit, dass die OeNB vor der Finanzkrise 2008 Kapazitätsprobleme hatte: "Die Ressourcenausstattung von rund 20 Bankprüfern für circa 800 Banken war vor der Finanzkrise nicht darauf ausgelegt, in regelmäßigen Abständen systematisch jede Bank zu überprüfen." Vor 2008 oblag es laut OeNB auch allein der FMA (und vor 2002 dem Finanzministerium), die Nationalbank "mit Prüfungen zu beauftragen". Abgesehen davon habe man sich auf die Arbeit der Abschlussprüfer verlassen müssen.

Seitens der Finanzmarktaufsicht (FMA) heißt es laut "profil" wiederum, vor 2014 seien die heutigen gängigen, wiederkehrenden Prüfungen kleiner, nicht systemrelevanter ("low priority") Kreditinstitute gar nicht vorgesehen gewesen. Vor-Ort-Prüfungen habe es überhaupt nur bei konkreten Anlass- oder Verdachtsfällen gegeben. Und da seitens der OeNB-Datenanalyse nie Auffälligkeiten eingemeldet wurden, sah die FMA ihrerseits keine Veranlassung, eher einzuschreiten.

2015, 2017 und 2020 wurde die Commerzialbank wieder geprüft. Ungeachtet früherer anonymer Hinweise auf Unregelmäßigkeiten flogen jahrelangen Bilanzfälschungen erst im Zuge der letzten OeNB-Prüfung auf.