APA - Austria Presse Agentur

Dichter und Wanderer: Julian Schutting erhält Artmann-Preis

Zwei kommende Ereignisse rücken Julian Schutting derzeit in den Blickpunkt: Am Montag erhält er den H.C.-Artmann-Preis, am 25. Oktober feiert er seinen 85. Geburtstag. "Der Geburtstag ist mir grauenvoll. Der Preis freut mich, obwohl ich ihn reichlich spät bekomme. Viele werden sagen: Was, der lebt noch? Ich nehme ihn aber gerne an, weil ich voll in der Arbeit bin. Ich publiziere mehr denn je. Das kostet mich sehr viel Geld - weil ich nicht selber auf Computer schreibe."

Für die Erfassung seiner Texte mittels Computer bezahle er. "Das ist ein Luxus, den ich mir leiste. Ich habe noch an keinem Buch nur einen Groschen verdient." Geschrieben wird mit der Hand oder mit einer Schreibmaschine - an einem kleinen Schreibpult in einer 23-Quadratmeter-Schreibklause. Dort darf man sich den Dichter vorstellen, tagaus tagein an seinen Texten feilend, Worte abwägend, austauschend, verschiebend - "wie in einem Verschubbahnhof". Und regelmäßig die Wanderschuhe anziehend, aufbrechend, das Weite suchend.

Jeden Tag gehe er mindestens zweieinhalb bis drei Stunden, sagt Schutting, "mit Schrittzähler", - weniger der Gesundheit zuliebe als seiner Unstetigkeit geschuldet. "Ich sitze nicht gerne. Die Herumhockerei halte ich nicht aus. Ich gehe auch nach wie vor auf Stehplatz in die Oper. Früher dachte ich, nicht mehr schreiben zu können, wäre mein größtes Unglück. Heute denke ich: Nicht mehr flott gehen zu können, wird für mich am ärgsten sein." Bedauernd muss er feststellen, dass es bzw. er nicht mehr so geht wie früher: "Vor vier Jahren war ich von meiner Wohnung in 50 Minuten auf dem Kahlenberg. Heute brauche ich eineinviertel Stunden."

Beim Gehen ist Schutting - eine weitere Parallele zu Nobelpreisträger Peter Handke, der demnächst 80 wird - ein Sammler. Er sammelt jedoch keine Pilze oder andere Waldfrüchte, sondern Eindrücke, Beobachtungen, Begebenheiten, die ihm auffallen. Wie neulich, als er in der Skodagasse eines parkenden Autos der Marke Skoda ansichtig wurde. Diese Auffindungen des Alltags bieten den Ausgangspunkt seiner literarischen Arbeit, nicht die dichterische Fantasie. Den Autor als Erzähler erfundener Dinge lehnt er aus ganzem Herzen ab. Mit seiner Fantasie Gott zu spielen, halte er "für total langweilig. Ein Gedicht ist eine Momentaufnahme. Ein lyrisches Gedicht hat keine Handlung."

Auch in "Das Los der Irdischen", dem dieser Tage erscheinenden Band mit szenisch-dramatischen Werken, finden sich keine Theaterstücke, in denen Handlung oder Figurenentwicklung eine Rolle spielen. "Nichts davon ist für die Bühne gedacht. Das sind Lesedramen, eines davon gab es als Hörspiel", sagt Schutting im Gespräch mit der APA. Das Theater funktioniere doch nach wie vor im Wesentlichen wie im Barock. Das interessiere ihn nicht. Daher geht es in dem neuen Buch im Wesentlichen um Sprache und Dialog, um Lese- und Sprechtexte. Das nächste, für Herbst 2023 geplante Buch soll dann "Datierte Blätter" heißen und seine Beobachtungen in Art von Tagebuchnotizen und Miniaturen versammeln, Merkwürdigkeiten aus Natur, Kunst und Politik - etwa Betrachtungen darüber, "was unsere Politiker oft Unlogisches im Radio daherreden".

An die 60 Bücher hat er bereits publiziert, die ersten erschienen unter dem Namen Jutta Schutting, seit einer in "Übereinstimmung mit meinem lebenslangen Selbstgefühl" 1989 vorgenommenen Namensänderung publiziert er als Julian Schutting. Er scheint unermüdlich. Wie schafft man so ein riesiges Werk? "Ich kann nichts dafür. Ich wäre froh, wenn's nicht so wäre. Ich wäre froh, wenn ich mehr Ruhe hätte." Aber auch im Urlaub treibe es ihn immer wieder an das Schreibpult zurück.

Ein Band wie "Zu jeder Tageszeit" (2007), auf dem als Gattungsbezeichnung Roman steht (Schutting: "Das war ein Gag. Ich hab das witzig gefunden."), ist die absolute Ausnahme in seinem Oeuvre, das, so die Einschätzung der H.C.-Artmann-Preis-Jury, "in höchstem Maß geprägt (ist) von einem poetischen Grundgestus". Zuletzt bewies er im Vorjahr mit einer souveränen "Winterreise"-Fortschreibung, zu welcher Meisterschaft er es dabei gebracht hat. Auf einem schmalen Grat balanciert er da zwischen tiefen Abgründen; witzige Schlenker und brutale Schläge gleichermaßen drohen den Leser immer wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Lyrik gilt zwar immer noch als Königsdisziplin, ist aber ein Minderheitenprogramm. Stimmt es ihn nicht traurig, dass die Gedichtbände in den Buchhandlungen meist in einer kleinen Lyrik-Ecke verräumt sind, während etwa Krimis Regalmeter um Regalmeter füllen? "Ich würde ja auch lieber Krimis lesen", meint er schmunzelnd. "Ich versteh' das völlig. Ich weiß auch nicht, ob ich mir ein Buch von mir kaufen würde."

Dabei sei Lyrik nicht nur für den Konsumenten, sondern auch für den Produzenten ein hartes Brot, schildert er. Seit dem Wegfall von "Vers- und Reimvorschriften", von "Stützgerüsten", die "den Dilettantismus verhindert haben", müsse man mit der Freiheit besonders sorgfältig umgehen. "Form und Inhalt bedingen einander. Jedes Gedicht muss sich formal rechtfertigen. Ein Gedicht ist etwas Gemachtes - wie ein gebautes Haus. Deswegen mach ich's auch wie ein Architekt. Ein großes Blatt am Reißbrett. Ich beginne mit einem Rohentwurf."

Am Ende sei er nur mit ungefähr jedem zehnten Gedicht zufrieden, sagt Schutting. "Was zählt, ist nur das Resultat, nicht die Intention." Eine Strenge, die Teilnehmer von "Creative Writing"-Klassen heutzutage meist vermissen ließen: "Viele Gedichte von jungen Leuten lesen sich wie Selfies in Gedichtform und sind nichts anderes als Ich-Darstellung vor einem schönen See oder einer Meereswoge. Sie halten ihr Seelenleben für interessant. Wenn ich aber so in mich hinein glotze: Da ist nichts, da ist Leere. Da muss von außen was hereinkommen."

Im Vorfeld seines Geburtstags wird zur Vernissage einer Ausstellung geladen, bei der - in unzähligen Variationen - nur Porträts des Schriftstellers zu sehen sein werden. Gemalt hat sie sein Freund und Nachbar, der Regisseur und Maler Clemens Keiffenheim. Schutting wird sich an der als "Live Act" und "Trialog der Künste" angekündigten Vernissage mit einer Lesung beteiligen. "Ich füge mich. Es ehrt mich. Aber ich fühle mich nicht geschmeichelt. Sie werden sehen: Schmeichel-Bilder sind das keine..."

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Julian Schutting: "Das Los der Irdischen. Szenen und Dialoge", Mit Bildern von Albin Schutting und einem Nachwort von Gerhard Zeillinger, Literaturedition Niederösterreich, 188 Seiten, 24 Euro; Lesung am 13.9., 17 Uhr, gemeinsam mit Marianne Gruber anl. 60-Jahr-Jubiläum der Österreichischen Gesellschaft für Literatur, Wien 1, Herrengasse 5; Ausstellung "Blow Up Schutting", Vernissage als "Trialog der Künste" mit Julian Schutting liest, ClemK, Teodora Miteva (Cello) und Donka Angatscheva (Piano): 28.9., 19 Uhr, Ausstellung bis 21.10., Weingut Hengl-Haselbrunner, Wien 19, Iglaseegasse 10)