APA - Austria Presse Agentur

Diplomatisches Tauziehen um Weißrussland vor EU-Sondergipfel

Einen Tag vor dem EU-Sondergipfel zur Krise in Weißrussland (Belarus) laufen die diplomatischen Drähte heiß. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden am Mittwoch per Videokonferenz beraten, wie sie sich zu dem Konflikt in der ehemaligen Sowjetrepublik positionieren. Russlands Präsident Putin sagte, jegliche Form der Einmischung in die innenpolitischen Belange von Weißrussland sei inakzeptabel.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte in einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin die Regierung in Minsk zur Mäßigung auf, wie ein Regierungssprecher am Dienstag in Berlin sagte. Merkel forderte die Führung in Minsk unter dem umstrittenen Präsidenten Alexander Lukaschenko in dem Telefonat dazu auf, auf Gewalt gegen friedliche Proteste zu verzichten. Es müsse ein "nationaler Dialog" mit der Opposition aufgenommen und zudem politische Gefangene unverzüglich freigelassen werden.

Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten am Mittwoch über Sanktionen gegen Verantwortliche wegen Wahlfälschung und des Vorgehens gegen Demonstranten. Die spanische Außenministerin Arancha Gonzalez Laya äußerte sich überzeugt, dass die EU Sanktionen gegen Einzelpersonen verhängen wird, wie sie dem Radiosender Onda Cero sagte.

Vor dem morgen per Video stattfindenden EU-Sondergipfel fordert eine breite Allianz aus dem EU-Parlament faire Neuwahlen in Weißrussland unter internationaler Beobachtung. SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder erklärte am Dienstag in einer Aussendung: "Lukaschenko hat diese Wahl gestohlen und führt jetzt einen brutalen Feldzug gegen die eigene Bevölkerung. Aber die Courage und der Mut der BelarussInnen sind beeindruckend. Im Angesicht von Folter und Repression gehen sie zu Hunderttausenden friedlich auf die Straße, legen die Arbeit nieder und fordern faire Wahlen und demokratische Reformen." Weiter meinte er: "Das EU-Parlament stellt sich mit einem unmissverständlichen Appell an die Seite von Opposition und Zivilgesellschaft. Lukaschenko muss den Weg für eine demokratische Zukunft in Belarus freimachen."

"Im Detail fordert das EU-Parlament die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen sowie ein Ende der Verfolgung und Repressionen gegen VertreterInnen der politischen Opposition und ihrer Familien. Auch Reiseverbote und Finanzsanktionen gegen Lukaschenkos politisches und wirtschaftliches Umfeld sowie führende Verantwortliche für Polizeigewalt und Wahlbetrug und eine generelle Neubewertung der EU-Politik 'Östliche Partnerschaft' sind gefordert, um schnell und gezielt Unterstützung für Opposition und Zivilgesellschaft leisten zu können", erläuterte Schieder, Mitglied im Außenpolitik-Ausschuss des EU-Parlaments. "Zur Koordinierung der EU-Aktivitäten zur Unterstützung eines demokratischen Reformprozesses und Machtwechsels sollte die EU einen Belarus-Sonderbeauftragten einsetzen."

Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt warnte Russland vor einem militärischen Eingreifen in Weißrussland. "Ein Völkerrechtsbruch durch Russland, wie er 2014 in der Ukraine geschah, würde die europäische Friedensordnung erneut tief erschüttern", sagte Hardt der Nachrichtenagentur Reuters. "Auch deshalb sind Berichte über russische Spezialkräfte beunruhigend, die sich ohne Erkennungszeichen in Richtung belarussische Grenze bewegen." Die EU strecke dagegen die Hand für eine vertiefte Zusammenarbeit mit einem demokratischen Weißrussland aus. Mit Blick auf die EU-Beratungen sagte er: "Der Gipfel wird eindeutige Botschaften an Lukaschenko und Russland senden."

Vor den EU-Beratungen suchte auch die weißrussische Regierung den Kontakt zum Westen. Der amtierende Außenminister Wladimir Makei telefonierte am Dienstag mit den Ressortchefs von Finnland und Schweden, wie sein Ministerium in Minsk mitteilte. Dabei hätten Makei und der finnische Außenminister Pekka Haavisto das gegenseitige Interesse geäußert, Kommunikationswege offenzuhalten und den Dialog fortzusetzen. In dem Gespräch mit der schwedischen Außenministerin Ann Linde sei es um die Aussichten der Zusammenarbeit zwischen Weißrussland und der Europäischen Union gegangen.

Die Gegner von Präsident Alexander Lukaschenko Weißrussland wollen das Land mit einem Koordinierungsrat aus der Krise führen. Das Gremium mit Vertretern der Zivilgesellschaft werde noch am Dienstag gebildet, teilte ein Sprecher der Opposition der Deutschen Presse-Agentur mit. Zeitpunkt und Ort waren zunächst offen. Ziel sei es, eine friedliche Machtübergabe zu organisieren, hieß es.

Die Opposition in Weißrussland strebt nach den Worten der Regierungskritikerin Maria Kolesnikowa keinen Bruch mit Russland an. "Wir sind der Meinung, dass alle bestehenden Vereinbarungen eingehalten werden müssen", schrieb Kolesnikowa an Alexej Wenediktow, den Chefredakteur des kremlkritischen russischen Radiosenders Echo Moswky.

Der Botschafter von Weißrussland in der Slowakei solidarisierte sich mit den oppositionellen Demonstranten in seiner Heimat und reichte nun seinen Rücktritt ein. Das berichtete die slowakische Nachrichtenagentur TASR am Dienstag unter Berufung auf das weißrussische Nachrichtenportal Tut.by.

Der 65-Jährige Lukaschenko regiert Weißrussland seit 26 Jahren autoritär. Bei der Präsidentenwahl am vorvergangenen Sonntag hatte er sich zum Sieger mit großem Vorsprung erklärt. Die Opposition wirft ihm Wahlbetrug vor und reagierte mit Demonstrationen, gegen die Sicherheitskräfte teils brutal vorgingen. Am Montag machte Lukaschenko in teils widersprüchlichen Aussagen Zugeständnisse an die Opposition. So stellte er eine Verfassungsreform in Aussicht, an deren Ende es zu einer Machtverteilung kommen könnte, wie er vor streikenden Arbeitern sagte.

Am Dienstag verlieh Lukaschenko Ehrenmedaillen an Sicherheitskräfte, die an den Einsätzen gegen Demonstranten beteiligt waren, für deren "einwandfreien Dienst". Zudem forderte die Regierung in einem Schreiben die Manager von Staatsunternehmen dazu auf, dafür zu sorgen, dass Arbeiter ihre Pflichten erfüllten und sich diszipliniert verhielten. In Minsk versammelten sich erneut Hunderte Menschen, um gegen Lukaschenko zu demonstrieren.

Auch am Dienstag gab es Arbeitsniederlegungen in Staatsbetrieben. Aus Fabriken wurde berichtet, dass die Belegschaften eingeschüchtert, an Protesten gegen Lukaschenko gehindert und mit Kündigung bedroht würden. Das Streikkomitee und die Opposition haben den Streikenden, die sich in ihrer Existenz bedroht sehen, Hilfen über einen Solidaritätsfonds zugesichert. Experten zufolge könnten Arbeitsniederlegungen der Wirtschaft des Landes erheblich schaden.

In Minsk versammelten sich fast 200 Menschen vor der Haftanstalt, in der der Ehemann der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja festgehalten wird. Die Menschen sangen "Happy Birthday" anlässlich des 42. Geburtstags von Sergej Tichanowski, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete.