APA - Austria Presse Agentur

Diverses Phönix-Team mit gelungener "Identitti"-Premiere

Das unter der neuen Leiterin Silke Dörner aufgestellte Ensemble des Linzer Theater Phönix ist ausnehmend divers - und, in diesem Geiste durch einige Gäste verstärkt, geradezu ideal für die österreichische Erstaufführung von "Identitti" von Mithu Sanyal. Das Stück kreist um Fragen von Identität und Zugehörigkeit, Rassismus und Aneignung und wirft genügend spannende Fragen auf, um nach dem kurzen Theaterabend noch weiter zu diskutieren. Das Premierenpublikum war angetan.

Die indischstämmige Studentin Nivedita (Gulshan Bano Sheikh) bloggt unter dem Pseudonym Identitti über Abstammung und Gender, über "Identität und Brüste", wie sie selbst sagt. Sie ist eine Schülerin der renommierten Professorin Saraswati (Gina Christof), die Postcolonial Studies unterrichtet und selbst stolze Person of Colour ist. Doch dann der Schock: Saraswati ist eigentlich weiß und heißt Sara Vera Thielmann. Ein Skandal! Die Ikone der Diversität steht mitten im Shitstorm - nicht nur von rechts, auch "echte" People of Colour sind empört, unter ihnen Nivedita, die sich betrogen vorkommt und verletzt ist.

Aber Moment - ist Nivedita wirklich eine Person of Colour oder ist sie privilegiert, weil sie weniger diskriminiert wird als Menschen mit eindeutig nicht-weißer Hautfarbe wie beispielsweise ihre Freundin Priti (Cecilia Kukua)? Bis heute ist Nivedita/Identitti auf der Suche nach ihrer Identität nicht fündig geworden: "Ich habe das Gefühl zu lügen, wenn ich 'Ich' sage". Warum wird sie von Fremden gefragt, ob sie Deutsch spricht, obwohl sie mit dieser Sprache aufgewachsen ist? Und erwartet man von einer Inderin, dass sie mit lustigem Bollywood-Akzent quasselt?

Das Stück beginnt mit dem "Skandal" rund um Saraswati - der an den realen Fall der amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin Rachel Dolezal erinnert, die sich fälschlicherweise als Afroamerikanerin ausgegeben hatte - und arbeitet in Form von Rückblenden jene Fragen auf, die sich daraus ergeben: Gönnt sie den Betroffenen nicht einmal mehr deren Diskriminierung? Und war es jetzt Blackfacing oder Brownfacing? Wenn Saraswati weiße Studierende aus ihrer Vorlesung wirft - sie sollen im nächsten Semester wiederkommen, jetzt sind erst einmal die anderen dran - wer muss dann gehen und wer darf bleiben? Denn Nivedita ist weder schwarz noch weiß, nicht umsonst wird sie, die eine deutsche Mutter hat, "Coconut" genannt, weil die Kokosnuss außen braun und innen weiß ist. Und nicht zuletzt: Warum hat der weiße Simon (Marius Zernatto) so selten einen Auftritt in dem Stück?

Das Stück ist kurz, eine - durchaus auch unterhaltsame - Collage aus Tweets, Posts und Kurznachrichten, Medienzitaten, Dialogen und viel Musik, die eine breite Palette vom Rap bis zum Maori-Haka abdeckt. Die "weiße" Regisseurin Martina Gredler hat dabei auf Vorschläge ihrer Schauspielerinnen und Schauspieler zurückgegriffen. Die Bühne (Anneliese Neudecker) besteht aus an Eisberge erinnernde Gebilde aus Glas und Alufolie - je nach Licht changieren sie in diversen Farben, einmal kalt, einmal warm, in jedem Fall ästhetisch und auch als Lehrstuhl von Saraswati geeignet, die im pinken Fransengewand von oben herab doziert.

Nivedita hadert mit der erfundenen Identität ihrer Professorin, aber auch diese hatte ihre Motive. Könnte es nicht sein, dass man nicht nur gender-, sondern auch race-fluid sein kann? Nach einem Gedenk-Exkurs an die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau wird das Publikum mit viel Diskussionsstoff über die Buntheit der Menschheit entlassen.

(S E R V I C E - "Identitti" von Mithu Sanyal im Linzer Theater Phönix. Regie: Martina Gredler, Bühne: Anneliese Neudecker, Kostüme: Lejla Ganic. Mit: Gulshan Bano Sheikh (Nivedita), Kerstin Jost (Kali), Gina Christof (Saraswati), Mirkan Öncel (Raji), Cecilia Kukua (Priti/Verena), Ivana Nikolic (Oluchi/Lotte), Marius Zernatto (Simon). Weitere Vorstellungen: 11., 12., 15.-17., 23.-25.3., https://www.theater-phoenix.at)