APA - Austria Presse Agentur

donaufestival: Russisches Pathos und mörderisches Schamhaar

Bühnen lassen sich auf unterschiedliche Weisen einnehmen. Mal reicht eine charismatische Erscheinung vor leerem Hintergrund, dann die völlige Konzentration auf das, was es zu erzählen gibt. Oder aber man bedient sich des gesamten Vokabulars der Popmusik und gießt noch einen Schuss russisches Pathos darüber. So geschehen bei Shortparis zum Abschluss des ersten donaufestival-Wochenendes.

Im Kremser Stadtsaal glich das mit harter Kante agierende Quintett Sonntagabend einer Offenbarung. Sich selbst als "Opposition zur modernen Musikszene" verstehend, wie ihrer Bandcamp-Seite zu entnehmen ist, vermengte die Gruppe pulsierende Discobeats, den martialischen Gestus aus Rock und Metal sowie ein einwandfreies Melodiegespür. Sänger Nikolay Komiagin wirkte im roten Anzug wie einem 80er-Jahre-Musikvideo entsprungen, führte seine Kollegen mit zackigen Bewegungen an und ließ seine Stimme ansatzlos vom Schrei ins Falsett kippen.

Manch einer mag vielleicht erschlagen worden sein vom Überangebot, in dem sich Shortparis suhlten. Immer dann, wenn man eine Nummer zu fassen glaubte, wies ein Basslauf in eine neue Richtung, bogen Schlagzeuger und Percussionist in eine beatgetriebene Hölle, oder gab es Popmomente zu erleben, wie sie vielleicht sogar dem Song Contest zu peinlich wären. Aber Shortparis, die ihre Texte großteils auf Russisch hielten, machen sich um solche Zuschreibungen offenbar keine Gedanken. Kompromisse sind bei dieser Gruppe fehl am Platz. Tanzen, tanzen und noch mal tanzen ist alles, was zählt.

Man kann sich aber auch im Wahn verlieren, wie es Bully Fae Collins exerzierte: Der US-Amerikaner zeigte seine Performance "Plight Notion with Shandy", und die titelgebende Notlage seiner Kunstfigur kann gar nicht genug betont werden. Als wirrer Verschwörungstheoretiker mit seitlich am Kopf festgeklebtem Messer lernte das Publikum den durchaus charmanten Burschen kennen, der von drei Parasiten bevölkert wird, an den "Mythos" lebenswichtiger Organe nicht glaubt ("Oder haben Sie sie schon mal gesehen?") und sein Schamhaar mit der Ermordung John F. Kennedys in Verbindung bringt. Schließlich sei er "das Böse auf dieser Welt". Eine sympathische Tour de Force, die aber nur wenig Bleibendes hinterließ.

Der spontane Sprung von einer Idee zur nächsten, er ist nicht unbedingt das Gebiet von Nadja: Die aus Aidan Baker und Leah Buckareff bestehende Band versteht sich viel eher auf den langen, meditativen Aufbau. In der Minoritenkirche spannten sie mittels Gitarre, Bass und allerlei Effektgeräte einen fast einstündigen Bogen, der das Ausgangsdröhnen sukzessive zu steigern und wandeln wusste. Im Publikum nahm man das gerne und vorwiegend im Liegen wahr.

Dass sich Nadja aber auch auf den kurzen Wutausbruch verstehen, beweist ihre umfangreiche, stetig anwachsende Diskografie. "Wir haben unser Studio zuhause, da ist es ein Leichtes, jederzeit etwas aufzunehmen", fand Buckareff dafür im APA-Interview eine einfach Erklärung. Ob geplantes Projekt oder spontane Session sei dabei einerlei. "Natürlich ist nicht alles Gold, was dabei herauskommt", schob Baker lachend nach. "Songs können sich entwickeln, aber auch einfach für die Erstidee stehen. Dabei wird die Hörbarkeit des Prozesses selbst das Interessante." In der Improvisation müsse man sich öffnen, so Buckareff. "Je konkreter deine Erwartungen sind, umso schwieriger wird es, sie zu erfüllen."

Wie das bei AAA ausschauen mag, ist wohl vielen ein Rätsel - aber eines, dem man sich gerne stellt. Die Jazz-Avantgarde-Formation, bestehend aus Pianist Chris Abrahams, Schlagzeuger Oren Ambarchi und Gitarrist Robbie Avenaim, braucht nicht viel, um im Wechselspiel aus Dissonanz, Rhythmus und Hall eine Sogwirkung zu erzeugen. Waren hier die Augen geschlossen, bewegten sich bei Gudrun Gut wieder die Beine: Die deutsche Musiklegende, bekannt auch als Gründungsmitglied der Einstürzenden Neubauten, war nach der Absage der Insecure Men ins Programm gerückt - ein Glücksfall. Knackige Technosounds, eine charismatische Persönlichkeit und die unbändige Lust am Klang haben als Melange bestens funktioniert.

Wie sich insgesamt der Auftakt zum diesjährigen donaufestival - es ist die dritte Ausgabe unter Intendant Thomas Edlinger - über die Zeit mausern konnte. War der Freitag noch von der indifferenten Sorte, blieben in den folgenden Tagen wohltuende Überraschungen nicht aus und entließ letztlich Planningtorock als letzter Konzertact des Wochenendes das Publikum glücklich in die Pause. Jam Rostrons bewusst zwischen Mann und Frau changierendes Wesen wurde mittels eklektischer Electro- und Popsounds höchst eindrucksvoll in Szene gesetzt und machte Lust auf mehr: auf Klänge, die Hörgewohnheiten herausfordern, Performances, die Konventionen brechen, und ein Kunstverständnis, das gesellschaftspolitisch selbstbewusst agiert.