Ein altes Haus als Zeitmaschine beim steirischen herbst

Nun ist wieder Leben in der Bude in Hartberg
Als vor einigen Jahren der letzte Mieter die Segel strich, schien das bröckelnde Stadthaus in der Hartberger Altstadt dem Untergang geweiht. Der in Wien lebende Künstler Simon Brugner erwarb die scheinbare Ruine um einen Pappenstiel mit der Absicht, dem spätbarocken Bau neues Leben einzuhauchen. Mit einem Künstlerteam begann er, die künstlerischen Möglichkeiten des Ortes auszuloten. Bis zum Sonntag war "Haus lebt 2024" Teil des Partnerprogramms des steirischen herbst.

Drei Tage lang beherbergte das an der ehemaligen, mittelalterlichen Stadtmauer gelegene Haus ein Theaterstück, Workshops, Vorträge und Musik. Am Sonntag gipfelte der Veranstaltungsreigen in einem Thementag, für den auch ein Shuttlebus aus der Festivalhauptstadt Graz bereitgestellt wurde. Unter dem Motto "Greetings of the Past" führten Brugner und Co-Kuratorin Aki Namba durch das sowohl kulturell als auch mikrobiell quicklebendige Haus, das im 18. und 19. Jahrhundert zunächst als Tuchscherermanufaktur, später dann als Bäckerei und Friseurladen diente und zuletzt einen Handyshop beherbergte. All diese Vergangenheiten waren und sind Teil unterschiedlichster künstlerischer Auseinandersetzungen.

Die Architektin und Künstlerin Anna Orbanic etwa züchtete in der ehemaligen Bäckerei Bauer mithilfe eines Baumschwammmyzels einen topografischen Abdruck des derzeit im Ausgrabungsmodus befindlichen Bodens, der als organische Skulptur raumfüllend beeindruckt. Im Nebenraum, einem in die Tiefe reichenden, einst den Tuchscherern als Arbeitsraum dienenden Saal irrlichtern als Diainstallation archäologische Fundstücke aus den tieferen Schichten des Hauses aus der Finsternis. Als Stärkung nach der Führung gibt es dann ein erfrischendes, milchsaures Kräutergetränk und ein ebenfalls mithilfe der residenten Nachfahren der ehemaligen Bäckereihefe gebackenes Sauerteigbrot zu kosten. Das Getränk wird wie selbstverständlich aus Schalen getrunken, die aus dem lehmigen Ton getöpfert wurden, auf dem das Haus errichtet ist. "Wir verstehen das Haus als geschlossenes System", erklärt Brugner.

Danach zeigte die kanadische Künstlerin und Kunstforscherin Serena Lee ihre Performance "Two Windows at Once", in der sie sich auf poetische und nicht-lineare Weise mit der Geschichte des Hauses auseinandersetzte. Als visuelles Ausdrucksmittel dienten ihr Schattenspiele auf einem Overheadprojektor. Dazu erzählte sie Parallelgeschichten aus dem eigenen Leben, die sich ebenfalls um das Freilegen vergangener Zeit drehten.

Den Abschluss machte Autor Florian Gantner, der aus einem unfertigen Auftragsmanuskript für "Haus lebt 2024" las. Hinter dem Arbeitstitel "Ein Kompetenzsimulant" versteckte sich ein Wechselspiel aus rohen Recherchen zu den historischen Hintergründen des Ortes, inklusive Chat-GPT-Orakel und heitere Gedankenspielexkurse zu Ohrwürmern und anderen "kognitiven Juckreizen". Am Ende durfte das Publikum Fußnoten zu dem Text anbringen, die in die Endfassung einfließen sollen.

Hausherr Brugner will seine "lebende Baustelle" mit seinem Künstlerteam auf jeden Fall weiter entwickeln. Ihm schwebt ein "hybrider Raum" vor, der als für das Publikum geöffnetes Kulturzentrum, aber auch als Arbeitsraum für unterschiedliche künstlerische Tätigkeiten dienen soll. Instandhaltung und Renovierung des Gebäudes sollen sukzessive und "behutsam" vonstatten gehen. In den durch die Ausgrabungen geschaffenen hohen Raum wünscht sich Brugner ein Programmkino.

(Von Andreas Stangl/APA)

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