Ein fescher Kerl: Koskys "Figaro" heiratet in der Staatsoper

Gräfin und Graf sind in "Le Nozze di Figaro" nicht glücklich
Figaro feiert Hochzeit und die Wiener Staatsoper die Rückkehr von Barrie Kosky, der am Samstagabend seine Inszenierung der Da Ponte-Trilogie am Ring fortgesetzt hat: "Le Nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart gerät dabei zu einem Opernabend mit großen handwerklichen Qualitäten und dem Zeug zum langlebigen Inventar des Repertoirebetriebs. Attraktiv im Gewand, gewitzt in der Personenregie und in den Details hochmusikalisch gebaut. Wichtig: Das Ensemble muss stimmen.

Bei der Premiere am Samstag war das der Fall - und das trotz einer kurzfristigen Scharade: Sopranistin Ying Fang, die als Susanna ihr Hausdebüt geben sollte, musste dieses aufgrund einer Stimmbandblutung stumm absolvieren. Zu ihrem Schauspiel sang Maria Nazarova die Partie aus dem Orchestergraben. Für ein so dicht gewebtes Kammerspiel ein echter Crashtest, der eindrucksvoll bestanden wurde. Von Ying Fang selbst, aber auch von ihren Kollegen, Peter Kellner als Figaro, Andre Schuen als Graf, Hanna-Elisabeth Müller als Gräfin und Patricia Nolz als Cherubino. Ein blindlings eingespieltes, offensichtlich robust geprobtes Team.

Wie gut sich Barrie Kosky auf Figurenzeichnung und Situationskomik versteht, auf diesen Kern jeder Regie, das konnte bei manchen seiner kontroverseren, schrilleren Arbeiten schon mal in den Hintergrund geraten. Nach dem "Don Giovanni", mit dem er seinen Wiener Da Ponte-Einsatz 2021 begonnen hat, ist dieser "Figaro" ein bekömmlicher Mozart. Die Bilder sind elegant, die Räume eine Präsenz für sich, mehr Protagonisten als nur Kulisse. Während anfangs nah an der Rampe vor zwei mächtigen Türen agiert wird, eröffnet sich mit dem Zimmer der Gräfin ein ebenso prächtiges wie intimes Boudoir, im dritten Akt hält man zwischen riesigen barocken Gemälden Hof. Die Ideen allmählich ausgegangen sind Koskys Team erst bei den abschließenden Gartenszenen, in denen eine karge Schrägbühne mit doppelten Böden eher plump bespielt wird.

Die Gefälligkeit der Schauwerte erstreckt sich aber nicht nur auf die Ausstattung. Auch die Akteure sind schöne, gut gekleidete Menschen, nicht abgründig, sondern nur schwach und dafür viel zu mächtig. Weder mit dem Grafen und seiner "toxischen Männlichkeit", wie wir sie heute nennen könnten, noch mit seiner geplagten, gewieften Dienerschaft macht Kosky gesellschaftspolitische Statements. Lieber unterstreicht er mit genauem Blick für das Menschliche den überzeitlichen Charakter dieser magischen Mozartwelt, in der alles immer präzise für das Heute gemacht zu sein scheint.

Große Fingerfertigkeit gelingt auch in der Abstimmung von Handlung und Komposition, von Menschen und Klängen, auch von Bühne und Graben. Philippe Jordan arbeitet plan- und maßvoll, hat seine Partitur durchchoreografiert mit kleineren und größeren Gestaltungsbögen und bringt sie ausnahmslos in die Umsetzung. Man hat schon einen innigeren Mozart gehört, auch einen kräftigeren, doch die Dosierungsgenauigkeit und die Musikalität in der Bühnenerzählung sind auf ihre Art nicht weniger eindrucksvoll.

Das Potenzial, diese Musikalität in Theater zu verwandeln, muss freilich vom Ensemble ausgeschöpft werden - in sämtlichen zentralen Rollen gelingt dies dank absolut ernsthafter Schauspielerei, die hier auch in allen Fällen mit feinem Stimmwerkzeug gepaart ist. Insbesondere Schuen als eitel-agitierter Graf und Kellner als fesch-charmanter Figaro tragen den Abend sängerisch, Hanna-Elisabeth Müller sorgt als Gräfin für Ariengänsehaut. Für sie alle gab es reichlich Applaus, für Kosky auch sehr wenige, beherzte Buh-Rufe, die womöglich eine längere Vorgeschichte haben, als den aktuellen Abend. Denn das Einzige, worüber man sich an diesem "Figaro" aufregen könnte, ist, dass es so wenig zum Aufregen gibt.

(S E R V I C E - "Le nozze di Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart. Regie: Barrie Kosky, Musikalische Leitung: Philippe Jordan. Mit Andre Schuen, Ying Fang, Maria Nazarova, Hanna-Elisabeth Müller, Peter Kellner, Patricia Nolz. Nächste Vorstellungen: 13., 15., 17., 19., 23., 26. März; ARTE zeigt die Neuproduktion am 17. März 2023 um 21.50 Uhr live zeitversetzt im Rahmen von ARTE Opera 2022/23. www.wiener-staatsoper.at)

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