ESA-Chef: Europa sollte bei Erkundung des Monds dabei sein
APA: Ist Europa schon bereit für den Mond?
Josef Aschbacher: Der Konferenztitel soll die Diskussion anregen, wo Europa am Weg zum Mond und darüber hinaus in Richtung Mars steht. Dieses Thema wird derzeit weltweit von verschiedenen Nationen vorangetrieben. Die US-Weltraumbehörde NASA hat gerade ein großes Moon-to-Mars-Programm vorgestellt, China hat ein starkes Explorationsprogramm und eine Raumstation aufgebaut, Russland ist nach wie vor eine starke Weltraummacht. Das heißt, wir haben drei Länder, die eigene Kapazitäten haben, Astronautinnen und Astronauten in den Weltraum zu bringen. Auch Indien wird wahrscheinlich in den nächsten ein bis zwei Jahren so weit sein.
Europa hat auch eigene Astronauten, aber die fliegen mit anderen Ländern mit, derzeit nur mit den USA. Europa ist also abhängig von nur einem Partner. Und genau diese Frage stellen wir: Wie eigenständig sollte Europa sein, auch im Zugang zum Weltraum - weil das eine neue Wirtschaftszone wird, weil es hier unheimlich viele neue Möglichkeiten gibt. Die Konferenz am 2. Juni in Wien soll die Diskussion dazu anregen, sie ist eines der ESA-Highlights in diesem Jahr und dient auch der Vorbereitung des Space Summit (der Weltraumminister der ESA-Mitgliedsstaaten, Anm.) im November in Sevilla.
APA: Wie stehen Sie persönlich zu der Frage, ob Europa selbst astronautische Raumfahrt aufbauen soll?
Aschbacher: Meiner Meinung nach kann Europa diese Möglichkeiten nicht verpassen, weil wenn wir sie verpassen, würden wir uns sehr große Chancen vertun.
APA: Was hätte Europa davon, eigene Kapazitäten zu haben, um Menschen ins All zu bringen?
Aschbacher: Europa ist Weltspitze in einigen Bereichen der Weltraumtechnologie, etwa in der Erdbeobachtung, bei der Satellitennavigation oder der wissenschaftlichen Erkundung des Sonnensystems. Da ist Europa auf Augenhöhe mit den USA, China und anderen Weltraumnationen. Europa hat aber keine Kapazitäten, Astronautinnen und Astronauten in den Weltraum zu bringen, was notwendig wäre, um künftig den Mond zu erforschen und seine vielen neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten zu nutzen. Noch ist es schwer vorstellbar, aber der Mond wird eine zukünftige Wirtschaftszone werden, wo auch Bergbau betrieben wird, Wasserstoff gewonnen wird, 3D-Drucker Instrumente oder Bauteile für Raketen herstellen werden, usw.
APA: Das klingt nach Science Fiction?
Aschbacher: Es gibt einige Studien, die einen komplett neuen und stark wachsenden Wirtschaftszweig dieser sogenannten Mond-Ökonomie vorhersagen. Europa hat bei der ESA-Ministerratskonferenz 2022 erste Schritte gesetzt, zum Beispiel um ein Navigations- und Kommunikationssystem auf dem Mond aufzubauen. Das Moonlight Projekt der ESA wird gegen Ende dieser Dekade erste Satelliten um den Mond betreiben. Eigentlich genauso, wie wir es auf der Erde gewohnt sind.
APA: Bis dahin dauert es aber noch lange.
Aschbacher: Aber die ersten Schritte werden jetzt gesetzt, etwa durch die Artemis-Mission der USA. Und die große Frage ist, wo sich Europa mittel- bis langfristig in diesem Feld positionieren will. Unabhängige Berater haben uns ganz klar gesagt, dass Europa sehr aktiv sein muss, weil es hier geopolitische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Argumente und Interessen gibt und wir die Talente, die wir in Europa haben, nicht verlieren dürfen bzw. Talente anziehen müssen. Der Weltraum ist hier viel weiter zu sehen, als nur auf den zentralen Raumfahrt-Sektor bezogen.
APA: Die Frage wird wohl politisch entschieden. Sehen Sie unter den 22 ESA-Mitgliedsländer Befürworter für solche Pläne?
Aschbacher: Die Diskussion hat gerade erst begonnen, aber ich habe den Auftrag von den Mitgliedsländern bekommen, einzelne Szenarien zu studieren, Kostenabschätzungen durchzuführen, Architekturen zu entwickeln, wie das aussehen könnte, wo sich Europa positionieren könnte und welche Kapazitäten es aufbauen und entwickeln sollte. Das ist alles voll im Gange. Es gibt Mitgliedsländer mit starkem Interesse. Aber das ist ein Prozess, der sich entwickeln muss, basierend auf Informationen, die wir derzeit dabei sind bereitzustellen.
APA: Was würde es kosten, dass Europa selbst Astronauten ins All bringen könnte?
Aschbacher: Es gibt erste ganz grobe Abschätzungen der Größenordnung, und die besagen, dass die Investitionen nicht so unerwartet groß sind. Ich will aber bewusst keine Zahl nennen, weil die gewinnt sonst ein ganz eigenes Leben. Solche Zahlen sind auch sehr stark damit verbunden, welches Szenario man diskutiert.
APA: Was konkret meinen Sie mit diesen Szenarien?
Aschbacher: Es gibt verschiedene Phasen: Die erste Phase ist der Materialtransport in den niedrigen Erdorbit. Dort befindet sich noch bis 2030 die Internationale Raumstation und dann werden dort wohl private Anbieter Möglichkeiten zur Beherbergung von Astronauten anbieten, um Forschung im Weltraum durchführen zu können. Aber Europa sollte dafür nicht öffentliches Geld an US-Firmen überweisen. Zunächst geht es also darum, wie sich Europa aufstellt, um weiterhin Forschung in der Erdumlaufbahn betreiben zu können und dann darum, wie Europa Astronauten in den niedrigen Erdorbit transportieren kann. Der nächste Schritt ist, den Mond zu erforschen und dafür zunächst Instrumente, Ausrüstung und Material und, in weiterer Folge, Astronauten zum Mond zu bringen. Längerfristig geht es dann über den Mond hinaus zum Mars als nächsten Zielpunkt, was natürlich in weiter Ferne liegt. Dafür muss man aber zuerst die ersten Stufen beherrschen.
Die USA und China haben konkrete Pläne für diese drei Phasen, weil sie die Möglichkeiten sehen, die sich auftun. Zudem wird es sicher neue Entdeckungen und Möglichkeiten geben, die man heute einfach nicht absehen kann. Das ist so, wenn man einen neuen Kontinent erforscht, und der Mond wird ein neuer Kontinent sein. Europa kann es sich nicht leisten, da nicht dabei zu sein.
APA: Wer soll das bezahlen? Wird man hier verstärkt auf Public-Private-Partnerships, also eine stärkere Beteiligung der Industrie setzen?
Aschbacher: Es braucht natürlich die öffentliche Hand, um Technologien zu entwickeln und gewisse Bausteine bereitzustellen. Aber es wird eine Transformation notwendig sein, die ich in Europa anstrebe: Wir werden der Industrie viel mehr Verantwortung geben und die ESA wird verstärkt als Kunde für Dienstleistungen oder Hardware auftreten. Am Anfang ist das natürlich öffentlich zu finanzieren, sonst würde die Industrie niemals einsteigen, aber schrittweise wird sie Interesse bekommen, selbst zu investieren und eigene Wirtschaftsdomänen zu entwickeln.
APA: Wozu braucht Europa eigene Kapazitäten für astronautische Raumfahrt, was spricht gegen internationale Kooperationen?
Aschbacher: Unabhängigkeit heißt nicht, dass wir alles in Isolation durchführen wollen oder können. Sie dient auch dazu, Europa als starken Partner für internationale Kooperation aufzubauen. Mit mehr eigenen Möglichkeiten sind wir natürlich ein viel besserer Partner für die NASA und andere Weltraumagenturen.
APA: Wie sieht ihr persönlicher Zeitplan für das Projekt aus, bekommen Sie das in ihrer Amtszeit noch hin?
Aschbacher: Ich will sicher die Diskussion so weit bringen, dass Entscheidungen getroffen werden können, und wir beginnen, erste Technologien zu entwickeln, um diese Vision aufzubauen. Natürlich dauert es eine Dekade oder mehr, wenn man mit eigener Kapazität zum Mond fliegen will - und das ist noch weit entfernt. Aber wenn man solche Programme anstoßen und soweit politisch und finanziell absichern kann, dass sie auf einer guten Schiene sind, dann wäre es mehr als alles, was ich mir zu Beginn meiner Amtszeit erwarten hätte können.
(Das Gespräch führte Christian Müller/APA)
(ZUR PERSON: Josef Aschbacher wurde am 7. Juli 1962 als Kind von Bergbauern in Ellmau in Tirol geboren. Er studierte Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck und heuerte 1989 bei der ESA an. Nach verschiedenen Stationen bei der Weltraumorganisation wurde er 2016 Direktor für Erdbeobachtung bei der ESA - der erste Österreicher auf einem Direktorenposten bei der ESA. Ende 2020 wurde er schließlich zum neuen ESA-Generaldirektor gewählt.)
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