APA - Austria Presse Agentur

Estnische Präsidentin: Mischen uns in Weißrussland nicht ein

"Wir mischen uns nicht in den demokratischen Prozess in Weißrussland ein." Das betonte die estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid am Rande des Forums Alpbach in einem Online-Gespräch mit der APA. "Aber wenn die Menschen diesen demokratischen Prozess in Weißrussland nicht haben können, weil sie bedroht werden, ins Gefängnis kommen, gefoltert werden, dann glaube ich, dass es unsere Pflicht in Europa und global ist, darauf zu reagieren und Sanktionen gegen jene Personen zu haben, die diese Gräueltaten begehen. Das ist das Mindeste, was wir tun können."

Estland hat angesichts der Entwicklungen in Weißrussland (Belarus) jüngst unabhängig von der EU eigene Sanktionen verhängt. Auf der estnischen Sanktionsliste stünden beispielsweise Personen, die friedliche Demonstranten attackiert hätten.

Gefragt nach ihrer Einschätzung zu den Sanktionsplänen, auf die sich die EU-Außenminister am Freitag verständigt haben, sagte Kaljulaid, dass die internationale Gemeinschaft den Druck "schrittweise" erhöhe. "Die internationale Gemeinschaft stellt sicher, dass sie auch nicht überreagiert, und die internationale Gemeinschaft ist auch bereit, Menschen, die Weißrussland aus politischen Gründen verlassen müssen und Asyl suchen, jede Art von humanitärer Unterstützung zu geben." Auch die estnische Regierung habe entschieden, Ressourcen für Hilfe bereitzustellen.

"Ich betone das: Wir helfen Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, und wir mischen uns nicht in den weißrussischen Prozess ein. Ich glaube, das ist das Wichtigste, dass die Welt das versteht. Europa - und Estland neben anderen europäischen Staaten - steht dafür, dass die Weißrussen das Recht haben, ihren Weg in die Zukunft selbst durch einen demokratischen Prozess zu bestimmen, und dafür brauchen sie Wahlen, von denen die Menschen das Gefühl haben, dass sie den Ergebnissen vertrauen können, und von dort können sie vorangehen."

Das ist laut der Präsidentin auch der Grund, warum Estland - ebenso wie die beiden anderen baltischen Staaten Lettland und Litauen - schon Mitte August zu Neuwahlen in Weißrussland aufgerufen hat. "Ja, das ist der Grund, warum wir schon zu einem frühen Zeitpunkt ganz offen gesagt haben, dass wir das Ergebnis dieser Wahl nicht anerkennen und dass beide Seiten nach Möglichkeit eine internationale Vermittlung anstreben sollten, um zu einer Lösung zu kommen, wie man friedlich freie und faire Wahlen in Weißrussland organisiert. Das war unsere Position, und das ist noch immer unsere Position."

Auf die Frage, ob Estland über Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin besorgt sei, der diese Woche vom Aufbau einer Reservetruppe für das Nachbarland Weißrussland gesprochen hatte, sagte Kaljulaid, sie sei der Meinung, "dass alle Länder eine direkte Intervention in dieser Situation in Weißrussland vermeiden" sollten. Stattdessen solle man sich um eine friedliche Lösung bemühen, betonte die Präsidentin.

Das Coronavirus hat in den vergangenen Monaten auch vor dem nordeuropäischen Land nicht Halt gemacht. Für gewisse Aspekte des Umgangs mit der Pandemie war Estland aufgrund seines hohen Grades an Digitalisierung aus Sicht des Staatsoberhauptes aber möglicherweise besser gerüstet als manch anderer Staat. "Das digitale System gibt Flexibilität, und alles, was wir machen mussten, ist zu schauen, wo wir noch mehr Flexibilität brauchen. Aber wir hatten ein System, das bereit war, und eine Nation von Menschen, die dieses System seit Jahren getestet hatten, es vertrauenswürdig fanden und gewohnt waren, es zu verwenden. Und das bedeutet, dass der Staat selbst am Höhepunkt einer Pandemie den Kontakt zu seinen Menschen nicht verliert, und das ist sehr, sehr wichtig."

Gefragt, ob sie das Gefühl habe, dass manche anderen EU-Länder in Sachen Digitalisierung ein bisschen langsam unterwegs seien, sagte Kaljulaid, diesen Eindruck habe es gegeben. "Aber seit unserer EU-Ratspräsidentschaft (2017, Anm.) sehen wir, dass zumindest jeder anerkennt, dass unsere Bürger und Unternehmen ohnehin online sind und wir ihnen dorthin folgen müssen. Sonst werden Regierungen ein Stück weit veraltet und können die Menschen in der Sphäre des Internets nicht schützen, und das ist notwendig. Das wird verstanden, und ich glaube, wenn das verstanden wird, sind wir schon auf einem guten Weg."

(Das Gespräch führte Alexandra Angell/APA)