APA - Austria Presse Agentur

Ethiker mit kritischer Bilanz zu Sterbehilfe in Niederlanden

In den Niederlanden hat sich durch die Freigabe der aktiven Sterbehilfe nach Einschätzung des Ethikers Theo A. Boer die Einstellung zu Tod und Sterben verändert. "Ursprünglich wollten wir den Menschen vor einem schrecklichen Sterben bewahren. Inzwischen wollen wir ihn von einem schrecklichen Leben erlösen", sagte Boer der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" laut Kathpress.

In den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe seit 2001 erlaubt; Boer saß von 2005 bis 2014 in einer Prüfungskommission, die über die Rechtmäßigkeit von solchen Fällen befindet. Der deutsche Verfassungsgerichtshof hatte in seinem am gestrigen Mittwoch verkündeten Urteil das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe aufgehoben und damit die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen in Deutschland im Prinzip möglich gemacht.

"Die Bandbreite, was heute noch human und würdig ist, wird kleiner", fasste de Boer seine Erfahrungen zusammen. "In den letzten Jahren häuften sich Fälle, bei denen deutlich wurde, dass wir auf eine schiefe Ebene geraten waren. Wenn zum Beispiel Druck von Verwandten ausgeübt wurde - explizit oder zwischen den Zeilen -, fand ich das höchst problematisch."

Um seine Beobachtungen zu illustrieren, zog der Ethiker einen Vergleich zur Auslage in Lebensmittelgeschäften. "Dort haben die Gurken alle genau dieselbe Größe, Tomaten haben keine fleckigen Stellen. Das nehmen wir einfach als gegeben hin. Wenn eine Frucht irgendeinen Makel hat, kaufen wir sie nicht." Dieses Konsumverhalten greife inzwischen auch auf das menschliche Leben über: "Erhalten wollen wir nur noch, was autonom ist, genießen kann, etwas zur Wirtschaft beitragen kann und was gesund ist. Alles, was dem nicht entspricht, gerät in eine Gefahrenzone. Diese Haltung wird auf uns selbst irgendwann wie ein Bumerang zurückkommen."

In gewissen Regionen der Niederlande gehöre die Sterbehilfe schon zu den wichtigsten Todesursachen, fügte Boer hinzu. "Ich spreche da von Zahlen zwischen 10 und 15 Prozent." Zugleich wolle eine zunehmende Zahl der Ärzte die aktive Sterbehilfe nicht mehr mit betreiben. "2002 gaben 11 Prozent der Ärzte an, sie würden es nicht tun, 2016 waren es dann schon 19 Prozent." Viel wichtiger sei, die palliativmedizinische Versorgung auszubauen, um den Menschen die Angst vor einem schmerzvollen Tod zu nehmen.