APA - Austria Presse Agentur

EU-Bürgerforum will stärkere EU-Außen- und Klimapolitik

"Klare Handlungsempfehlungen" zur Weiterentwicklung der europäischen Demokratie hat das parteiübergreifende "BürgerInnenforum Europa" Montag in Wien präsentiert. Ein Aus für das Vetorecht in der EU-Außenpolitik wird ebenso gefordert wie mehr Koordination bei Militärausgaben, Energiewende und Kreislaufwirtschaft als Antworten auf die Klimakrise und länderübergreifende Kandidatenlisten bei der Europawahl. Basis für das Programm sind die Bürgerdialoge der EU-Zukunftskonferenz.

"Wir müssen das europäische Projekt wieder zu unserem Projekt machen", sagte Othmar Karas, Gründer und Obmann des Forums und Erster Vizepräsident des Europaparlaments (ÖVP). Es sei gelungen, einen "Traum" in Gang zu setzen. Hauptmerkmal sei der überparteiliche Charakter des Forums, um einen "Schatz gemeinsam zu heben", "wir haben keine Denkverbote". Das 136 Seiten lange Programm mit 200 Forderungen ist von Experten und Politikern aus unterschiedlichen Parteien verfasst worden.

Neben Karas zählen etwa Ex-Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ), die frühere Vizepräsidentin des Europaparlaments Ulrike Lunacek (Grüne), Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP), die ehemalige EuGH-Richterin und Justizministerin Maria Berger (SPÖ), die frühere NEOS-Europaabgeordnete und slowenische Ex-Kohäsionsministerin Angelika Mlinar, der Spitzendiplomat Thomas Mayr-Harting und der ehemalige Vorsitzende der Euro-Arbeitsgruppe, Thomas Wieser, zum "BürgerInnen Forum Europa".

Der Schock des Ukraine-Kriegs sollte ein Impuls sein, Mehrheitsentscheidungen auch in der Außenpolitik einzuführen, heißt es in dem Programm. Umsetzbar wäre dies umgehend und ohne Vertragsänderung. Kräfte bündeln müsse Europa auch auf militärischer Ebene: Die geringere Effizienz der europäischen Streitkräfte im Vergleich zu den US-amerikanischen liege auch an der mangelnden Abstimmung der Ausstattung der einzelnen Armeen.

Seit fast 25 Jahren sei verfassungsrechtlich sichergestellt, dass europäische Solidarität Vorrang vor der klassischen Neutralität habe, heißt es in dem Programm. Österreich sollte sich bei der Entwicklung der Gemeinsamen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) beteiligen, fordert das Forum. "Außer Frage steht dabei, dass die NATO - seit dem 24. Februar 2022 noch stärker als bisher - das Fundament der kollektiven Verteidigung ihrer Mitglieder bildet und damit auch der wichtigste Garant für die Verteidigung der Außengrenzen der Union bleibt." Die NATO-Beitrittsbemühungen von Finnland und Schweden würden dies unterstreichen, für Österreich wird aber kein NATO-Beitritt empfohlen. Gefordert wird eine möglichst hohe Interoperabilität zwischen EU und NATO sowie die Nutzung der strukturierten EU-Militärzusammenarbeit PESCO, der Aufbau einer EU-Eingreiftruppe und eine Konkretisierung der EU-Beistandsverpflichtung.

Eine unzureichende Unterstützung von Menschen im globalen Süden führe immer häufiger dazu, dass die Zahl der Asylsuchenden ansteige, warnen die Europapolitiker zudem. "Da die Fluchtursachen etwa durch den Klimawandel zunehmen, ist die heutige reaktive humanitäre Politik keine Option mehr." Hilfsgelder sollten daher besser geografisch verteilt und früher gezahlt werden. All dies liege im ureigenen Interesse Europas.

Klimakrise, Pandemie und die russische Invasion in der Ukraine stellten außerdem die europäische Energiepolitik infrage. Im Energiebereich sieht das "BürgerInnenforum Europa" die öffentliche Hand gefordert, durch eine "besonnene Ordnungspolitik" das Marktgeschehen effizient zu lenken. Der Aufbau eines leistungsfähigen transnationalen europäischen Stromleitungs- und Pipelinesystems sei notwendig. Um fairen Wettbewerb etwa der Stahlindustrie sicherzustellen, wird ein CO2-Ausgleichsmechanismus und ein Klimaschutzzoll auf G7-Ebene und später im Rahmen der WTO gefordert. Die Kreislaufwirtschaft habe ökologische, ökonomische und soziale Dringlichkeit, dies hätten Pandemie und Krieg in der Ukraine gezeigt.

Das Forum tritt auch für eine europäischen Sozialpolitik und die Annäherung der Sozial- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsstaaten ein. Aufgegriffen wird auch die Idee eines "Klima-Sozialfonds", um Bürger aus dem EU-Haushalt direkt finanziell zu unterstützen.

Als Demokratieoffensive für die EU wird ein schrittweiser Übergang zu grenzüberschreitenden europäischen Kandidatenlisten bei den Europawahlen sowie ein echtes System von Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten für die Besetzung der EU-Kommissionspräsidentschaft verlangt. "Die Irreführung der WählerInnen schadet dem Vertrauen ins politische System und gibt der Kritik am Demokratiedefizit der EU weitere Nahrung." Zudem würden neue Herausforderungen wie der Klimawandel und autoritäre Tendenzen einen EU-Verfassungskonvent für einen neuen EU-Vertrag erfordern. Ziel sei eine echte Sozial-, Innovations-, Gesundheits-, Finanzmarkt-, Verteidigungs- und Außenpolitik-Union als nächste Integrationsschritte in Europa.

Die Stärkung Europas soll einhergehen mit einer schrittweisen Erhöhung des EU-Haushalts auf zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Analog sollen die entsprechenden Ausgaben in den nationalen Haushalten reduziert werden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen freute sich in einer Videobotschaft über das Engagement der Bürger und die "sehr klaren Hinweise". "Ihre Botschaft ist angekommen", versicherte sie. "Machen Sie der Politik Dampf!" Die rege Teilnahme zeige, "dass unsere Demokratie lebt". Die Politik habe nunmehr die Aufgabe, den richtigen Weg für Änderungen zu zeigen.

"Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Einzelstaat keines dieser Themen alleine lösen können", sagte Bundespräsident Alexander van der Bellen in seiner Videobotschaft. Die Europäische Union bilde ein stabiles Fundament, um die Krisen zu lösen.