Experte: Mehr Geld für Grundlagenforschung/klinische Studien
"Die Leute sind frustriert. Wir verlieren Wissenschafter und viele junge Forschertalente", gab der renommierte Mediziner, der vor allem während der Coronapandemie einer breiten Öffentlichkeit bekanntgeworden war, eine Beschreibung der Ist-Situation ab und appellierte gleichzeitig an die Politik. Klarerweise gebe es in Österreich den Wissenschaftsfonds FWF, den er "sehr schätze und voll unterstützte" und dessen Verantwortliche "um jede Million kämpfen" würden. Aber: Es sei insgesamt einfach zu wenig Geld vorhanden. "Viele Top-Projekte werden aus Ressourcenmangel abgelehnt und können nicht gefördert werden. Dadurch gehen viele Ideen verloren und Forscher kehren der Wissenschaft den Rücken zu. Dadurch verlieren wir in Österreich ein enormes Potenzial an brillanten Leuten", fand Weiss deutliche Worte.
Im Bereich des FWF weise man derzeit eine Förderquote von circa 20 Prozent auf, er habe aber das Gefühl, es sei um einiges weniger. Auf mindestens 30 Prozent müsste man jedenfalls kommen. "Man muss - salopp formuliert - fünf bis zehn Anträge schreiben, dass man einen durchkriegt. Für junge Wissenschafter ist das extrem frustrierend. Sie haben kaum eine Chance an Fördergeld zu kommen, weil es so kompetitiv ist und sie noch am Anfang ihrer Karriere stehen. Es scheitert oft an Kleinigkeiten, aber auch gut gemeinte Vorschläge von Gutachtern führen mitunter zur Ablehnung von Anträgen. Die jungen Menschen wandern deshalb in die Industrie oder ins Ausland ab und gehen der Forschung im Inland verloren", erklärte Weiss: "Die Forschungsanträge sind mittlerweile extrem aufwendig geworden und umfassen neben den zentralen wissenschaftlichen Fragen auch viele bürokratische Auflagen und Erfordernisse." Es brauche neben den richtigen Ideen enorm viel Zeit und Geduld, um einen Antrag zu schreiben, dazu würden oft zahlreiche Vorexperimente eingefordert, die aber wiederum anderweitig finanziert werden müssten.
Österreich sei im Bereich der Förderung der Grundlagenforschung, vor allem was die Biomedizin betrifft, "Nachzügler in Europa". In Ländern wie Deutschland und der Schweiz gebe es hingegen wesentlich mehr Förderschienen. Der Infektiologe und Top-Mediziner hatte auch konkrete Lösungsvorschläge parat: "Es braucht zusätzliche Alternativen zum FWF. Zum einen generell alternative Förderprogramme, zum Beispiel - wie in Deutschland von den Ministerien - die objektiv von Experten begutachtet werden müssen, sowie spezifische thematische Forschungsinitiativen - etwa beispielsweise im Bereich der Entzündungsforschung oder bei degenerativen Erkrankungen, aber auch zu anderen Themen der Naturwissenschaften oder der Human-/Veterinärmedizin."
Und man brauche "einen Förder-Topf für Nachwuchsleute, bei dem die Hürden nicht so hoch sind, sogenannte Starting-Grants, welche jungen, exzellenten Talenten die Möglichkeit geben, ihr Forschungsprofil weiterzuentwickeln und interessante Projekte zu realisieren." Das FWF-System sei "im Prinzip gut", betonte Weiss, aber: "Es ist so wenig Geld vorhanden, sodass sie dort sehr restriktiv sind und auch gute und innovative Projekte nicht gefördert werden."
Massiven Aufholbedarf ortete der Experte hierzulande auch, was die Förderung im Bereich der klinischen Studien betrifft: "Es gibt hier zwar einen Topf des FWF für klinische Projekte, was als sehr positiv anzusehen ist. Es ist aber kaum mehr möglich, komplexere klinische Fragestellungen oder Sekundäruntersuchungen beispielsweise im Falle von Medikamenten, die zugelassen worden sind, im akademischen Setting durchzuführen. Der bürokratische Aufwand ist extrem hoch, u.a. mit Studienregistrierung, Ethikkommission, Monitoring, Dokumentation, was auch enorme Kosten generiert."
Weiss nannte ein konkretes Beispiel: Man habe es etwa mit einem zugelassenen Präparat zu tun, um Eisenmangel und die daraus bedingten negativen Folgen für den Organismus zu therapieren. In der klinischen Praxis oder in rückblickenden Analysen werde aber festgestellt, dass diese Therapie nur bei einem Teil der Patienten mit gleichzeitigen bestehenden chronischen Erkrankungen wirklich hilft. Daraus ergebe sich wiederum die entscheidende Frage, welche Patienten von einem solchen Präparat profitieren würden - und welche nicht. "Die Durchführung einer solchen Studie durch einen einzelnen Forscher oder ein Team bringt einen enormen bürokratischen und vor allem finanziellen Aufwand mit sich. Das können Wissenschafter oder eine Universität kaum stemmen. Die Auflagen haben sich so weit von der Realität wegentwickelt, dass man eine klinische Studie, vor allem eine wissenschaftlich hochwertige prospektive Studie, nur mehr machen und finanzieren kann, wenn sie von 'Big Pharma' durchgeführt wird", so Weiss. Dadurch könnten viele entscheidende Fragen hinsichtlich Nutzen/Risiko von Medikamenten nach deren Zulassung im weiteren Verlauf im Rahmen von akademischen Studien nicht oder nur ungenügend erforscht werden, "zum Nachteil für die Patienten."
Förder-Nachholbedarf sah der Mediziner in Österreich auch im Bereich des Public-private-Partnership (PPP), also der öffentlich-privaten Partnerschaft. Es müsse gelingen, die Forschungsunterstützung durch Private oder Stiftungen mehr zu forcieren, die Forschungseinrichtungen Geld zur Verfügung stellen oder spezifische thematische Forschungsbereiche fördern. "Während das bei uns noch sehr selten zu finden ist, hat die Forschungsförderung durch Private beispielsweise in den USA oder der Schweiz eine enorme Bedeutung und trägt auch zum wissenschaftlichen Erfolg dieser Länder bei. Labors tragen da beispielsweise die Namen ihrer Mäzene", verdeutlichte Weiss. Oder etwa in Deutschland, wo zahlreiche weitere Förderschienen und Privatinitiativen zur Forschungsförderung existieren würden, wie etwa die "Dr. Mildred Scheel Stiftung" für Krebsforschung, benannt nach der Frau des früheren Bundespräsidenten Walter Scheel (FDP).
Ein weiteres Problem sei die sogenannte "Kettenvertragsregelung", die besagt, dass über Forschungsförderprojekte angestellte Wissenschafter spätesten nach sechs Jahren die Universitäten verlassen müssen, selbst wenn noch Fördermittel vorhanden wären. Das führe bei den jungen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern zu "viel Frustration und Perspektivlosigkeit" sowie für die Universitäten zum Verlust von gut ausgebildeten Forschern und Know-how.
"Wissenschaft ist bei uns halt nicht so populär wie etwa Sport. Es braucht eine Mentalitätsänderung, dass Wissenschaft eben extrem cool und innovativ ist und sich deren Förderung rentiert ", ortete der Infektiologe ein grundsätzliches Problem. Durch eine breiter aufgestellte Forschungsförderung könnten mehr Ideen umgesetzt und wissenschaftliche Talente im Land gehalten werden. Das fördere die Attraktivität des Wissenschaftsstandortes Österreich, die Zahl von Patenten und Ausgründungen von Firmen (Spin-Offs), mit positiven wirtschaftlichen Effekten u.a. durch die Schaffung von attraktiven Arbeitsplätzen. Es brauche "mehr Forschungsspirit" in der öffentlichen Meinung sowie breite und besser dotierte Förderinitiativen.
Österreich könne zu einer "Wissenschaftsnation" werden, es gebe schon hervorragende Beispiele für Topforschungseinrichtungen im Land. Grundvoraussetzungen und Potenzial wären eigentlich exzellent, betonte Weiss.
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