APA - Austria Presse Agentur

Nationalratswahl: ExpertInnen rechnen mit einer langen Koalitionsfindung

Die ÖVP werde kein Interesse daran haben, vor der Steiermark-Wahl am 24. November ein Verhandlungsergebnis zu haben, um WählerInnen mit einer unbeliebten Entscheidung nicht abzuschrecken. Außerdem sei es auch inhaltlich nicht einfach, so Peter Filzmaier.

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Auch die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle rechnet damit, "dass vor der Steiermark-Wahl keine Festlegungen erfolgen". ÖVP-Chef Sebastian Kurz könne kein Interesse daran haben, sich vor der Landtagswahl festzulegen, mit wem er im Bund regiert. Denn die ÖVP-Wählerschaft sei in ihren Koalitionspräferenzen sehr gespalten, gaben beide zu bedenken. Egal, wie sich Kurz entscheidet, er würde einen Teil der WählerInnen enttäuschen.

"Kurz steht auch nicht unter Verhandlungsdruck", sagte Filzmaier. Denn es sei ja nicht so, dass der ÖVP-Wahlerfolg ein bescheidener gewesen ist. Der Ex-Kanzler müsse daher keinen raschen Verhandlungserfolg vorweisen. Auch könne der ÖVP-Chef darauf verweisen, dass die letzte Regierungsbildung 2017 auch von 15. Oktober bis knapp vor Weihnachten gedauert hatte. Daher wäre eine Verhandlungsdauer bis Dezember kein Problem.

Wenige inhaltliche Überschneidungen

Mit langen Gesprächen rechnen die ExpertInnen auch aufgrund der zu erwartenden schwierigen inhaltlichen Verhandlungen. Sollte die ÖVP wie aktuell von vielen BeobachterInnen erwartet mit den Grünen in Verhandlungen treten, so gibt es hier nur wenige inhaltliche Überschneidungen: Die Gemeinsamkeiten würden bei nur etwa 20 Prozent liegen, gab Filzmaier zu bedenken. Mit nur "ein paar Leuchtturmprojekten" wäre eine Türkis-Grüne Koalition wohl nicht zu machen.

Stainer-Hämmerle sieht vor allem beim Thema Bildung die größten Divergenzen zwischen ÖVP und Grünen. Beim aktuellen Dauerbrenner Klima und Umwelt werde man sich finden, sagte sie. Der Knackpunkt Migration ist laut der Expertin bei aller Divergenz wohl ebenfalls zu lösen, immerhin habe Kurz ja früher schon andere Töne angeschlagen als in den letzten Jahren.

Die FPÖ wiederum habe sich ja gleich am Wahlabend selbst aus dem Spiel genommen, den Gang in die Opposition angekündigt und damit "in die Boxenstraße gestellt", wie Filzmaier sagte. Er hält es aber nicht für ganz ausgeschlossen, dass am Schluss doch noch eine Türkis-Blaue Neuauflage möglich sein könnte, sofern andere Optionen scheitern. Der Politologe verwies etwa auf das Jahr 2002: Damals erschien die FPÖ unmittelbar nach der Wahl ebenfalls nicht als Koalitionsoption. Am Schluss bildete die ÖVP dann aber doch mit dem damaligen FPÖ-Chef Herbert Haupt eine schwarz-blaue Regierung. Daher halte er diese Variante "zwar nicht für wahrscheinlich, aber ich schließe sie nicht aus".

Klärung des "Fall Strache"

Voraussetzung für die FPÖ, dass sie für die ÖVP überhaupt als Option in Betracht käme, wäre eine Klärung des "Fall Strache", so Filzmaier. Mögliche Lösungen wären, dass der Ex-Parteichef seine FPÖ-Mitgliedschaft ruhend stellt "oder man suspendiert ihn auf unbestimmte Zeit" - sofern die FPÖ einen formalen Ausschluss vermeiden will. Allerdings habe Strache seit seinem Rücktritt nicht gerade bewiesen, dass er sich ruhig verhält, verwies Filzmaier auf die zahlreichen Wortmeldungen, die der FPÖ im Wahlkampf mehr als ungelegen kamen.

Stainer-Hämmerle sagte zur Person Strache, es könnte sein, dass die FPÖ versucht, auf Zeit zu spielen. Ein Ausschluss wäre hingegen "ein Zugeständnis, um als Regierungspartner noch irgendwie im Spiel zu bleiben". Dies könnte aber auch die Partei spalten, gab sie zu bedenken. Da die FPÖ den Gang in die Opposition angekündigt hatte, rechnet die Expertin eher nicht mit einem Ausschluss des Ex-Obmannes. Aber auch sie wollte eine FPÖ-Regierungsbeteiligung nicht ganz ausschließen.

Dass bei der SPÖ gleich einen Tag nach der Wahlniederlage Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda seinen Rücktritt erklärte, stieß bei Filzmaier auf Verwunderung. Zwar habe auch er damit gerechnet, dass die SPÖ ein "Funktionärs-Opfer" brauche. Er halte es aber für ungeschickt, dass die SPÖ damit die weit größeren Turbulenzen der FPÖ und deren auch weitaus größeren Stimmenverlust medial in den Hintergrund drängt. "Ich kann die interne Stimmungslage (in der SPÖ, Anm.) nicht beurteilen, ob das wirklich sofort notwendig war. Es wäre eventuell besser gewesen, sich ruhig zu verhalten und die FPÖ als größten Verlierer dastehen zu lassen", sagte Filzmaier.

Drozdas Rückzug

Für Stainer-Hämmerle hat die SPÖ mit Drozdas Rückzug sehr viel Druck herausgenommen. Drozda habe Verantwortung übernommen, Parteichefin Pamela Rendi-Wagner sei dadurch "ein bisschen entlastet" worden.

An eine mögliche Stützung einer ÖVP-Minderheitsregierung durch die SPÖ glaubt die Politologin nicht: "Was hätten sie damit zu gewinnen?" Sollte die SPÖ die Chance haben, als Juniorpartner mit der ÖVP eine Koalition einzugehen, werde es für sie aber nicht ganz leicht zu sein, Nein zu sagen. Immerhin sei die SPÖ eine Partei, die sich sehr stark über die Sozialpartnerschaft definiert, gab sie zu bedenken. Die im Wahlkampf stark zutage getretenen Differenzen zwischen Kurz und Rendi-Wagner sieht Stainer-Hämmerle nicht als Problem: Beide hätten ja betont, professionell miteinander arbeiten zu können. Problem sei eher die Ablehnung gegen eine solche Koalition in der ÖVP selbst sowie in der Bevölkerung.