APA - Austria Presse Agentur

Faktencheck: Fasern auf Teststäbchen keine Parasiten

Mehrere virale Videos warnen vor handelsüblichen Antigen-Schnelltests. Angeblich sollen sich auf den Teststäbchen Parasiten befinden.

Die ErstellerInnen der Videos vermuten hinter den Fasern sogenannte "Morgellons", die mutwillig platziert wurden. Ein Leser hat APA-Faktencheck auf ein virales Video (1) aufmerksam gemacht. Darin wird etwa argumentiert, dass es sich um keine normalen Fäden handeln könne, da sie sich bewegten, wenn man darauf hauche. Mittlerweile häufen sich die angeblichen Morgellon-Videos.

Auch zu Masken existieren ähnliche Behauptungen (2). Auf manchen Infoseiten (3) zu dieser umstrittenen Krankheit wird das Bildmaterial gesammelt und von "Morgellon-Parasiten" gesprochen.

Zu überprüfende Information: Teststäbchen enthalten "Morgellons", eine Art Parasit.

Einschätzung: Morgellons können nicht auf den Teststäbchen enthalten sein. Zum einen ist die Existenz der Krankheit in der Wissenschaft stark umstritten. Zum anderen schließen Experten das Überleben möglicher Parasiten in einem Testkit aus. Es ist möglich, dass dunkle Fasern bei der Produktion oder Verpackung handelsüblicher Antigen-Schnelltests auf das Stäbchen kommen. Dies ist jedoch ungefährlich.

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Was bedeutet Morgellon?

Morgellon steht normalerweise für eine Krankheitsbezeichnung. Es handelt sich um eine von Betroffenen selbstdiagnostizierte Krankheit, die bisher wissenschaftlich nicht anerkannt wurde. Die Betroffenen berichten dabei von aus der Haut wachsenden Fäden.

Die bisherige wissenschaftliche Bewertung als Einbildung oder Wahn stützt sich vor allem auf eine Studie der US-Behörde CDC aus dem Jahr 2012 (4). Darin wurden mehrere Menschen untersucht, die ihr Leiden selbst als Morgellon diagnostizierten. Die StudienautorInnen analysierten damals die körperlichen, geistigen und sozialen Charakteristika der StudienteilnehmerInnen.

Sie kamen zu dem Schluss, dass es nicht genügend Hinweise gibt, um einschätzen zu können, ob es sich um eine neue Erkrankung handle oder um eine erweiterte Form einer Krankheit, die dem Phänomen bisher zugeschrieben wurden - wie etwa einem Dermatozoenwahn. Bei dieser wahnhaften Vorstellung bilden sich Patienten ein, Käfer, Würmer oder andere Lebewesen unter der Haut zu haben.

Obwohl Morgellon mit wachsenden Fäden oder Härchen in Verbindung gebracht wird, berichteten die Studienteilnehmer von unterschiedlichen Objekten wie Flecken, Körnern oder Würmern. Die Proben, die von den PatientInnen abgenommen wurden, entsprachen größtenteils Hautfragmenten oder Baumwolle, was etwa auf Kleidung, aber auch auf Verunreinigungen während der Laborauswertung rückführbar sein kann.

Laut der Studie waren vor allem Frauen von dem Phänomen betroffen. Viele zeigten Begleiterscheinungen wie chronische Müdigkeit oder Depressionen oder waren kognitiv beeinträchtigt. Außerdem wurden bei jeder zweiten Person Drogen in den Haaren nachgewiesen.

Mythos auch von VerschwörungstheoretikerInnen besetzt

Nach dieser größeren Studie befand sich die Krankheit in einem Schwebezustand zwischen einer durch die Wissenschaft zugeschriebene Wahnvorstellung und einer realen Erkrankung, deren Anerkennung viele Menschen forderten. Um diesen Konflikt entstand ein Mythos, der auch von VerschwörungstheoretikerInnen besetzt wurde.

Dies belegt etwa ein Mimikama-Artikel (5) aus dem Jahr 2017, in dem Morgellons mit Chemtrails in Verbindung gebracht wurden. Auch auf diversen Informationsseiten (3) für Morgellon-Betroffene finden sich derartige Inhalte. Die gebildeten Fasern werden dabei meistens mit dem Parasiten gleichgesetzt .

Der deutsche Forensiker Mark Beneke veröffentlichte aufgrund der aktuellen Aufmerksamkeit für das Thema ein Video (6) auf seinem YouTube-Kanal, in dem er zeigt, wie schnell sich normale Rückstände unter einem Mikroskop für Lebewesen halten lassen. Immer wieder würden ihm Menschen Proben zuschicken, die sie auf oder in der Haut hatten, und ihn bitten, sie zu analysieren.

Meistens ließen sich die angeblichen Symptome einfach durch Stofffussel, Pflanzenteile oder Hautpartikel erklären. "In allen Fällen seit 20 Jahren, die ich selber gemessen, angeguckt, zerschnitten, gefärbt oder unter einem Mikroskop fotografiert habe, waren es niemals Morgellonen."

Auch der Parasitologe Herbert Auer von der MedUni Wien bestätigte auf APA-Anfrage, dass er in seiner Laufbahn immer wieder mit PatientInnen zu tun hatte, die fest überzeugt waren, an der Morgellon-Krankheit zu leiden. Wir haben alle PatientInnen, die zu uns kamen, parasitologisch, so gut wie möglich, "durchgecheckt", aber nie eine Parasiteninfektion nachweisen können", so Auer. Er sei wie viele seiner Fachkollegen der Meinung, dass es sich ausschließlich um eine Psychose handelt.

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Verbindung mit Infektionen nach einem Zeckenbiss

Allerdings gibt es auch Untersuchungen, die mögliche Erklärungen für das Phänomen bieten. Ein wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2016 (7) bringt den möglichen Fadenwuchs bei Morgellon etwa in Verbindung mit Infektionen nach einem Zeckenbiss bzw. Borreliose. Die Fasern könnten demnach vom Körper durch die als Keratin bekannten Faserproteine und das Protein Kollagen gebildet werden.

Argumentiert wird etwa mit einem vergleichbaren Symptom bei Mortellaro, einer ebenfalls spirochätalen Infektion in der Zehenhaut bei Rindern. Zu beachten ist hierbei, dass nicht davon gesprochen wird, dass die gebildeten Fäden selbst der Parasit oder lebendig wären.

Die meisten Publikationen zu einer möglichen Verbindung zwischen Morgellon und Zeckenborreliose stammen von der kanadischen Mikrobiologin Marianne J. Middelveen. Laut einer ihrer Studien (8), die im Jahr 2018 publiziert wurde, konnte sie bei 27 von 30 potenziellen Morgellon-Patienten eine Borreliose feststellen.

Die Existenz und Ausprägung der Krankheit ist wissenschaftlich also umstritten. Es bleibt die Frage, worum es sich nun bei den dokumentierten Härchen auf den Teststäbchen handelt. Denn obgleich sich bei vielen viralen Videos nicht nachweisen lässt, dass die Fasern schon vor dem Auspacken des Stäbchens darin zu finden waren, deuten andere Videos darauf hin.

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Parasiten könnten in Verpackung nicht überleben

Auer schließt aus, dass es sich bei den Fasern auf den Teststäbchen um Parasiten handle. Parasiten könnten in der Verpackung gar nicht überleben. Wenn auf solchen Tests Fasern oder Härchen gefunden werden, "dann ist es eine rein zufällige Kontamination während des Verpackungsprozesses, aber keinesfalls durch Parasiten bedingt".

APA-Faktencheck kontaktierte mit dem deutschen Unternehmen nal von minden auch einen Hersteller von Antigen-Schnelltests. Die Erzählungen rund um Morgellons seien dort bekannt, man erhalte auch wiederholt Anrufe und Drohungen. Allerdings könne man bestätigen, dass es sich nur um Textilfussel handle, die bei der Produktion auf das beflockte Ende kämen.

"Diese beeinträchtigen aber selbstverständlich nicht die Qualität des Tupfers und sind nicht als "Verunreinigung" zu sehen. Tatsächlich atmet jeder von uns täglich Staub und Fussel ein, die zuverlässig von unseren Schleimhäuten wieder nach außen transportiert werden", erklärte eine Sprecherin.

Dass sich die Fasern durch Anhauchen bewegen lassen, lässt sich mit einfachen physikalischen Phänomenen wie Elektrostatik oder Luftzug erklären. Darauf verweist auch Beneke in seinem Video (6). Dass sich eine schwarze Faser im Gegensatz zu den anderen Härchen auf dem Stab bewege, liege daran, dass alle anderen Fäden mit dem Kopf verbunden sind.

Quellen

Wenn Sie zum Faktencheck-Team Kontakt aufnehmen oder Faktenchecks zu relevanten Themen anregen möchten, schreiben Sie bitte an faktencheck@apa.at