APA - Austria Presse Agentur

Folge des Aufstiegs: Immer mehr Bhutaner wandern aus

Wenn das Himalaya-Königreich Bhutan noch in diesem Jahr von der Gruppe der ärmsten Länder der Welt zu jenen mit mittleren Einkommen aufsteigt, wird dieser Erfolg durch eine bedenkliche Entwicklung begleitet: Die steil anwachsende Abwanderung junger gebildeter Bhutaner ins Ausland.

So sind in den vergangenen fünf Jahren rund 50.000 Frauen und Männer aus Bhutan nach Australien emigriert, in der Regel mit einem Studentenvisum für eine Universität. Bei 780.000 Einwohnern ein Grund zur Besorgnis. Die Covid 19-Pandemie hat den schon länger bestehenden Trend in neue Höhen getrieben, und zwar durch "Push-" und "Pull"-Faktoren zur selben Zeit.

In Bhutan ist die Jugendarbeitslosigkeit nach der sehr streng, aber erfolgreich gemanagten Pandemie heuer auf 30 Prozent gestiegen. Der Mangel an Jobs und Perspektiven hat zuletzt die Zahl der Auswanderer in die Höhe schnellen lassen, großteils Richtung West-Australien im Raum Perth.

Australien hat mit großzügigen Einreisebestimmungen den Trend weiter angefacht. Weil die Pandemie an australischen Universitäten zu niedrigen Inskriptionszahlen ausländischer Studenten - vor allem aus China- geführt hat, wenden sich vor allem private Unis in Australien direkt an meist gut Englisch sprechende Bhutaner.

Es winken dreijährige Aufenthaltstitel, wobei neben dem Studium auch legal in Australien gearbeitet werden darf. PartnerInnen dürfen mitkommen und auch Vollzeit-Jobs annehmen.

Nach der dreijährigen Studienzeit dürfen Bhutaner in Australien weitere zwei bis drei Jahre einen Beruf ausüben, mit der Aussicht auf einen permanenten Aufenthalt im 5. Kontinent.

Bhutans Außenminister Tandi Dorji verweist im Gespräch mit der APA auf einen erhofften Nutzen durch junge Auswanderer. "Unsere jungen Leute erwerben im Ausland wichtiges Wissen und Fähigkeiten, die dann bei ihrer Rückkehr beim weiteren Aufbau unseres Landes positive Auswirkungen haben werden."

Doch Tenzing Lamsang, Chefredakteur der Wochenzeitung "Bhutan Times", sieht den Trend mit Sorge. "Wir wurden Opfer unseres eigenen Erfolgs", erklärt er. "Sogar unsere Lehrer und Ärzte gehen nach Australien, offiziell für ein postgraduate-Studium, in Wahrheit oft für immer."

Die Schuld an diesem "Braindrain" gibt Lamsang der schon lange anhaltenden Vernachlässigung des privaten Sektors in der Wirtschaft. "Es gibt zu wenig Jobs und zu niedrige Löhne bei uns." Auch seine Zeitschrift wurde Opfer des "Australien-Rushes". Im vergangenen Halbjahr haben sieben Journalisten seiner Wochenzeitung gekündigt und sind nach Australien ausgewandert. Auch im für Bhutan wichtigen Fremdenverkehrssektor gehen Fachkräfte, oft Absolventen der durch Österreich unterstützten Tourismusschule in Thimphu, ins Ausland.

Die Abwanderung passt nicht zum Konzept des Königs und der Regierung, wonach in Bhutan das "Brutto-National-Glück" (Gross National Happiness/GNH) wichtiger sei als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). "Die GNH wanderte auch nach Australien aus", scherzt Ugyen Penjor, Geschäftsführer der Tageszeitung "Kuensel". So unternehmen nun populäre Sänger Bhutans Konzerttourneen in Australien, um dort an ihr Publikum zu kommen.

"Nach Australien sind schon früher junge Bhutaner ausgewandert. Sie haben dort in einigen Jahren mit harter Arbeit Geld verdient, das sie dann bei der Rückkehr in den Aufbau einer Familie investiert haben", erklärt Gerhard Adam, Leiter des Büros der "Austrian Development Agency" (ADA) in Thimphu, das Ende des Jahres nach 35 Jahren Kooperation zeitgleich mit dem Aufstieg Bhutans von den ärmsten Ländern geschlossen wird. "Früher blieben Kinder oft bei den Großeltern. Jetzt nehmen die Auswanderer nicht nur ihre Kinder, sondern oft auch ihre Eltern nach Australien mit. Die kommen kaum mehr zurück."

Die Regierung will nun mit Förderungen für den IT-Bereich gegensteuern. So sollen dort Jobs für jüngere Leute geschaffen werden. Außenminister Dorji kündigte bei einem Besuch einer ADA-Delegation auch ein Projekt im Süden des Landes an, wo an der Grenze zu Indien ein Industriepark samt Freihandelszone geschaffen werden soll.

Als Folge des Ausbaus der Wasserkraft in Bhutan, die Österreich mit der Finanzierung von vier Kraftwerken maßgeblich unterstützte, sollen auch neue Stromkunden angelockt werden. Zur Zeit ist ein "Mining"-Zentrum für die Kryptowährung Bitcoin, die besonders viel Energie für die weltweite Vernetzung benötigt, im Gespräch.

Die Regierung Bhutans will vor den Wahlen Ende des Jahres keine harten Maßnahmen gegen Ausreisewillige unternehmen. Als erster Schritt sollen aber die zahlreichen lokalen Consulting-Firmen im Bildungssektor freiwillig darauf verzichten, auf sozialen Medien Fotos von Kunden mit Ausreisevisa zu zeigen.

(Aus Bhutan berichtet Otmar Lahodynsky/APA)