Frauentag: Mehr Ukrainerinnen sehen Zukunft in Österreich

Die meisten ukrainischen Vertriebenen sind Frauen
Seit mehr als einem Jahr herrscht in der Ukraine Krieg - länger, als viele Ukrainerinnen und Ukrainer erwartet hatten. Immer mehr Vertriebene würden planen, in Österreich zu bleiben, stellte Claudia Lui, Leiterin des Beratungszentrums Ukraine der Diakonie, im APA-Gespräch anlässlich des Frauentages am 8. März fest. Denn 75 bis 80 Prozent jener, die sich dort beraten lassen, seien weiblich. Sie würden vor allem von einem längerfristigen Aufenthaltstitel profitieren, so Lui.

Ein 20 Nationalitäten umfassendes Team - viele Mitglieder sprechen Russisch oder Ukrainisch - hat im Beratungszentrum in Wien-Ottakring seit Kriegsbeginn etwa 13.000 Klientinnen und Klienten beraten, erzählte die Leiterin. Kommen ukrainische Männer, so seien diese meist älter oder beeinträchtigt, da sie nur unter bestimmten Umständen ausreisen durften - im Rahmen der allgemeinen Mobilmachung wurde zu Kriegsbeginn für wehrpflichtige Ukrainer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren ein Ausreiseverbot verhängt.

Täglich komme man auf 60 bis 70 Beratungsgespräche. Dabei will die Diakonie "möglichst breit alle Fragestellungen oder Problemfelder abdecken", meinte Lui. Man behandle das Thema Wohnen, beispielsweise Fragen zu Energiepreisen und privaten Wohnungen, sowie Arbeitsmarktintegration und leiste Sozialberatung sowie sozialmedizinische Beratung.

Dabei könne der österreichische Arbeitsmarkt die Vertriebenen brauchen - etwa im medizinischen, pädagogischen und technischen Bereich, so Lui. Der überwiegende Teil ihrer Klientinnen habe eine Hochschulqualifikation. Die Menschen seien gut digitalisiert, könnten schnell Deutsch lernen, sich orientieren und sich oft selbst helfen. "Was mir auch sehr gut gefällt an den Ukrainern und Ukrainerinnen ist, dass sie sich nicht so leicht dequalifizieren lassen", meinte Lui. Sie würden qualifiziert in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Allein aus ökonomischer und damit egoistischer Sicht würde Österreich also gut daran tun, den Menschen aus der Ukraine entgegenzukommen.

20.979 Beschäftigungsbewilligungen wurden laut Arbeitsministerium für Vertriebene bisher erteilt, davon sind 13.378 aufrecht, 7.413 Vertriebene sind beim AMS vorgemerkt. Zwischen Jänner 2022 und Jänner 2023 haben 2.205 Ukrainer und 6.205 Ukrainerinnen - allerdings nicht nur Vertriebene - eine Beschäftigung aufgenommen. Tamara Deysan, die im Beratungszentrum der Diakonie als Betreuerin arbeitet und selbst zu Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Österreich kam, schätzt die vielen Angebote zur Unterstützung bei der Arbeitssuche. Sie selbst hatte bereits in der Ukraine Deutsch gelernt und mehrere Zusagen bekommen, bevor sie die Stelle als Beraterin im Zentrum annahm.

Dem Fall der Beschäftigungsbewilligung sieht sie freudig entgegen, sei diese für viele Arbeitgeber doch eine abschreckende Hürde geblieben. Man wisse durch den Blick nach Deutschland, dass der Einstieg oft über Personalleasingfirmen zustande komme, an die jedoch keine Beschäftigungsbewilligung vergeben werde. Unternehmen könnten so "Ukrainerinnen ausprobieren", meinte Lui. Der erste Afghane in der Firma habe immer große Aufregung verursacht, "beim zweiten und dritten war dann schon alles okay. So wird es bei den Ukrainerinnen auch sein", nahm sie auf frühere Fluchtmigration Bezug.

Eine Hürde bleibt allerdings auch die Sprache: Bei den allermeisten Berufen werde Deutsch auf B2-Niveau verlangt, so Lui. Um dieses zu erreichen, würde man mindestens ein Jahr benötigen. "Den Menschen ist bewusst, dass sie die Sprache lernen müssen, um in Zukunft eine Stelle zu bekommen", meinte Deysan. Sie versuche auch ihren eigenen Bekanntenkreis davon zu überzeugen, die Sprache zu lernen. Im schlimmsten Fall könne man die neuen in Sprachkursen oder Bildungsprogrammen gewonnenen Kenntnisse wieder mit in die Ukraine nehmen, so Lui.

Viele Ukrainerinnen würden Monat um Monat damit hadern, zurückzugehen und könnten sich so keine Perspektive aufbauen, meinte sie. Immer mehr Vertriebenen werde aber bewusst, dass sie die Zukunft unter Umständen in Österreich verbringen werden. Es sei "durchaus wahrscheinlich", dass Familienzusammenführungen in Zukunft in Österreich stattfinden und nicht in der Ukraine. Besonders in den Kindern sieht Lui einen Anker: "Je eher die Kinder in Österreich sozialisiert werden, desto eher bleiben auch die Eltern."

In ihre Mutterrolle würden Ukrainerinnen teils erst in Österreich intensiver eintauchen. Frauen seien durch die Flucht oft zu Alleinerzieherinnen geworden. Das sei eine große Umstellung, hätten die Großeltern doch zuvor oft vorrangig auf die Kinder aufgepasst. Die neue Situation könne Mütter überfordern. Die Ukrainerinnen würden indes eher zu Teilzeitjobs tendieren, um ihre Kinder nicht länger als notwendig alleine einer fremden Umgebung auszusetzen.

Derzeit wird ukrainischen Vertriebenen bis März 2024 der Aufenthalt in Österreich gewährt. Mehr Perspektiven schaffen könne ein längerfristiger Aufenthaltstitel. Das sei die Basis etwa für das Unterschreiben eines Mietvertrages für drei Jahre oder den Beginn einer Ausbildung und könne davon überzeugen, die Fremdsprache Deutsch zu lernen. Sinnvoll fände Lui, dass Vertriebene, die oft unter Vorerkrankungen leiden, Pflegegeld erhalten können. Positiv sieht sie das Stimmungsbild in der Gesellschaft, wo die ukrainischen Vertriebenen "nach wie vor willkommen sind".

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