APA - Austria Presse Agentur

Für Regisseur Allahyari ist "Kreativität wie Medizin"

Man merkt es Houchang Allahyari zwar nicht an, aber der Filmemacher und Psychiater hat am 1. Februar tatsächlich seinen 80. Geburtstag. Das Filmarchiv Austria startet mit 5. Februar eine Online-Retrospektive zum Oeuvre des gebürtigen Iraners, die sich bis 18. März ziehen wird. Wann man die Werke auch physisch im Metrokino sehen wird, hängt dann von der Entwicklung der Coronapandemie ab.

Zuvor sprach Allahyari mit der APA über die Parallelen von Psychiatrie und Filmschule, die Vorteile des Lockdowns und den Grund, weshalb er seine Geburtstage nie feiert.

APA: Wie sieht Ihr Leben im Corona-Lockdown aus?

Houchang Allahyari: Mir ist es bisher grundsätzlich nicht schlecht ergangen, weil ich sehr aktiv war. Ich war zwar daheim, habe aber viel gearbeitet und zwei Spielfilme fertigstellen können. Außerdem hatte ich Zeit, meine alten Filme zusammenzusuchen und für die Retrospektive im Filmarchiv digitalisieren zu lassen. Und ich finalisiere gemeinsam mit meiner Tochter ein neues Buch. Mir war also keine Sekunde langweilig.

APA: Die soziale Interaktion hat Ihnen nicht gefehlt?

Allahyari: Ich bin ja ununterbrochen in Kontakt mit Menschen, auch wenn sie physisch nicht treffe. Ich bin noch nicht tot! (lacht)

APA: Schwermut haben Sie überhaupt nie verspürt?

Allahyari: In der sozialen Isolation zu Hause bewirkt die Kreativität sehr viel. Kreativität ist wie eine Medizin. Und das muss nicht das Filmemachen sein, sondern kann auch Handarbeit, Malen oder Schreiben sein.

APA: Ist das ein Rat, den Sie auch den Patientinnen und Patienten in Ihrer Praxis geben?

Allahyari: Durchaus, denn so schön ich die Situation jetzt für mich beschrieben habe, so schlimm sieht es teils für meine Patienten aus, mit denen ich derzeit viel über E-Mail, Telefon oder WhatsApp kommuniziere. Da gibt es eine wahnsinnige psychische Belastung und zunehmende Ängste. Das ist teils sehr massiv gewesen.

APA: Ist es da als Helfender schwierig, immer selbst die nötige Energie aufzubringen?

Allahyari: Durchaus. Ich sehe das auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen als Präsident der iranisch-österreichischen Ärztegesellschaft. Der Mensch hat eine gewisse Energie, und wenn er sich in dieser Hinsicht überfordert, funktioniert es nicht mehr. Das merkt man auch in den Spitälern. Da wäre übermenschliche Energie gefragt.

APA: Der Vorteil Ihres nahenden Geburtstages ist, dass Sie nun beim Impfplan in die erste Gruppe aufrücken...

Allahyari: Es bleibt uns kein anderer Weg als die Impfung, und ich habe mich schon gefreut, dass ich für meine Retrospektive, wo ich ja viele Menschen treffen werde, als 80-Jähriger schon geimpft sein werde. Aber bis dato bin ich noch nicht drangekommen, obwohl ich jeden Tag darauf hoffe.

APA: Sie haben erwähnt, dass Sie mittlerweile zwei neue Projekte fertigstellen konnten. Worum handelt es sich bei den beiden Filmen?

Allahyari: Der eine heißt "Goli Jan" über ein Mädchen, das keines sein darf und den ich in Afghanistan und Iran gedreht habe. Ich hoffe, dass der Film nach mehreren Verschiebungen nun endlich im März oder April Premiere haben kann. Und der zweite ist mein Episodenfilm "Seven Stories about Love", der vielleicht in einem halben Jahr in die Kinos kommen könnte.

APA: Auch diese beiden Werke sind sehr divers, wie eigentlich immer bei Ihnen. Sehen Sie selbst einen Roten Faden in Ihrem Oeuvre?

Allahyari: Bei allen Unterschieden in der Dramaturgie haben alle Filme mit mir und meiner Umgebung zu tun, behandeln Themen, die ich in der einen oder anderen Art erlebt habe. Und ein weiterer Aspekt ist die Menschlichkeit. Ich habe in meinem Leben sehr viel mit "Außenseitern" zu tun gehabt, wobei für mich alle Menschen gleich sind und mich selbst dieses Wort stört!

APA: Wie reift dann konkret die Entscheidung in Ihnen heran, ob Sie einen Stoff als Komödie, Essayfilm oder Dokumentararbeit abhandeln wollen?

Allahyari: Vor einem Projekt kreisen meine Gedanken aber nächtelang, bis ich etwas zu Papier bringe. Humor ist bei all meinen Filmen vorhanden, auch wenn ich von Komödien selbst eigentlich nicht begeistert bin. Deshalb liegt mir die Idee meist näher, eine Dokumentation zu machen, bei der man ja immer denkt, dass sie näher an der Wahrheit liegt - was natürlich eine Illusion ist, weil ja bereits die Wahl des Kameraausschnitts eine Manipulation darstellt. Generell empfinde ich aber Spielfilm einfacher für mich als die Dokumentation. Da kann ich den Menschen nicht vorschreiben, was sie sagen sollen. (lacht)

APA: Wie kam es trotz Ihrer Liebe zum Film, dass Sie in Wien Medizin studiert haben?

Allahyari: Ich war schon seit meinem sechsten Lebensjahr vom Film fasziniert. Wenn man sich meine psychodynamische Entwicklung anschaut, sieht man: Film, Film und wieder Film. Ich bin eigentlich auch nach Wien gekommen, um hier Film zu studieren, bevor ich dann weiter nach Amerika ziehe. Das war dann aber finanziell nicht möglich.

APA: Bedauern Sie das?

Allahyari: Ich bin damals gezwungenerweise in Wien geblieben, heute bin ich aber froh! Meine Bruder und mein Schwester sind schon lange in Amerika. Ich fühle mich aber sehr viel sicherer, dass ich meine Existenz hier in Wien aufgebaut habe. Auch wenn es in meinen Filmen viel Kritik an der hiesigen Gesellschaft und an Wien gibt, bin ich wirklich froh, dass ich hier leben kann.

APA: Wie kam es nun aber, dass Sie Psychiater geworden sind?

Allahyari: Meine Eltern wollten unbedingt einen Arzt in der Familie haben. Die haben mich fast gezwungen. Und ich dachte mir: Gut, inskribiere ich halt, damit sie und ich Ruhe haben. Dann ist aber mein Interesse an Psychologie und Neurologie durch einen alten US-Film über Freud geweckt worden.

APA: Wenn Sie zurückschauen, hätten Sie sich lieber für einen der beiden Wege entschieden, oder ist das Amalgam aus beiden genau das Richtige für Sie?

Allahyari: Ich würde es genauso wieder machen. Schließlich sind beide Welten eng verflochten: Beides hat mit Menschen zu tun. Manchmal denke ich mir, dass die angehenden Regisseure und Regisseurinnen anstelle einer Filmschule lieber auf die Psychiatrie gehen sollten. Einzig, dass mir das Geld anfangs gefehlt hat, bedauere ich. Ich habe meinen ersten Film gemacht, als ich 30 Jahre alt war - das war fast zu spät. Ich habe immer das Gefühl, dass ich Jahre beim Film versäumt habe. Die Medizin habe ich hingegen sehr schnell fertiggemacht.

APA: Dafür drehen Sie nach hinten raus länger als die meisten Kollegen. Werden Sie Ihren Geburtstag am 1. Februar trotz Corona feiern?

Allahyari: Ich feiere meinen Geburtstag eigentlich nie. Ich will nicht älter werden, ich will mehr Zeit haben, meine Projekte umzusetzen. Da geht es nicht um die Angst vor dem Sterben. Ich habe einfach noch viel vor. Ich bin als Person nicht wichtig, sondern meine Filme. Das sind praktisch wie meine Kinder.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)