APA - Austria Presse Agentur

Gegenseitige Gewaltvorwürfe nach Großdemo bei Lützerath

Nach Zusammenstößen zwischen Aktivisten und Polizisten bei der Anti-Kohle-Demonstration vor dem umkämpften Dorf Lützerath haben sich beide Seiten Gewalttätigkeit vorgeworfen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) nahm Sonntagabend die Polizei in Schutz. Diese habe "hochprofessionell" gearbeitet, sagte er in der ARD-Talkshow "Anne Will". Die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer widersprach dem, aus ihrer Sicht war der Einsatz unverhältnismäßig gewalttätig.

Er werde aber jeden Fall von unangemessener Polizeigewalt untersuchen lassen. "Wir haben ein, zwei Filme im Netz gesehen, wo wir sagen: 'Das sieht nicht gut aus.' Das werden wir uns genau anschauen, da haben wir auch Strafanzeige gestellt vorsichtshalber, weil ich finde, das muss gecheckt werden", berief er sich auf die Praxis der letzten Jahre. Es sei aber nicht so, als wären bei der Demo massenhaft "wild gewordene Polizisten" unterwegs gewesen. Von den Veranstaltern der Demo hätte er sich gewünscht, sich klar von Gewalt zu distanzieren, aber das sei nicht geschehen.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer widersprach dem und warf der Polizei in der Sendung einen unverhältnismäßig gewalttätigen Einsatz vor. "Das sah in keiner Weise professionell aus", kritisierte sie - und verwies darauf, dass nach Angaben einer Sanitäterin der Demonstranten viele Menschen von der Polizei schwer verletzt worden seien. Der Protest dagegen sei friedlich gewesen.

Am Rande der Großdemo hatten laut Polizei rund 1.000 großenteils vermummte "Störer" versucht, auf das abgesperrte Gelände von Lützerath vorzudringen. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Zwölf Personen wurden fest- oder in Gewahrsam genommen. Nach Polizei-Angaben wurden neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Eine Sprecherin des Sanitätsdienstes der Demonstranten hatte aber gesagt, es sei eine "hohe zweistellige bis dreistellige Zahl" von Teilnehmern verletzt worden.

Die Polizei hat am Sonntag die Räumung des Protestdorfes am rheinischen Braunkohletagebau abgeschlossen, bis auf zwei Aktivisten, die noch in einem Tunnel ausharren. Die meisten Gebäude waren am Sonntag schon abgerissen - darunter der Bauernhof des letzten Landwirts von Lützerath. Laut einer Mitteilung der Polizei wurden auch die insgesamt 35 "Baumstrukturen" sowie knapp 30 Holzkonstruktionen geräumt. Knapp 300 Personen seien weggebracht worden, wobei es zu vier Widerstandshandlungen gekommen sei. Seit Beginn der Räumung seien 154 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Der Energiekonzern RWE geht davon aus, dass der Abriss von Lützerath schon bald abgeschlossen wird. Man erwarte, dass der Rückbau noch acht bis zehn Tage dauere, sagte ein Sprecher der "Rheinischen Post" (Montag). "Im März oder April könnte der Tagebau dann das frühere Dorf erreichen und abbaggern." Bis zum Ende des Rückbaus wolle die Polizei vor Ort bleiben.