APA - Austria Presse Agentur

Gletscherschwund zwingt verschiedene Branchen zu Anpassung

Der rasch voranschreitende Gletscherschwund hat in den vergangenen Wochen für Aufsehen gesorgt - und zwingt verschiedene Branchen zur Anpassung, wie APA-Recherchen zeigen. Eine Glaziologin verwies auf fehlende Daten aus "Klimaarchiven". Gebirge ohne Gletscher seien aber "nicht automatisch weniger reizvoll". Der Österreichische Alpenverein (ÖAV) führte Änderungen bei Wegen, Lehrplanung und Tourenplanung an. Ein Tiroler Seilbahner sah in der Klimakrise auch Chancen.

"Aus ökologischer Sicht verlieren wir ein sehr spezialisiertes Ökosystem, auch in den kalten Fließgewässern", kommentierte Andrea Fischer, Gletscherforscherin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, den Gletscherschwund auf APA-Anfrage. Daten aus dem Gletschermonitoring, also das Vergleichen des klimatischen Status quo mit "Klimaarchiven" - den in dem Gletscher gespeicherten Informationen - würden fehlen. "Allerdings würde ich jetzt nicht behaupten wollen, dass Gebirge ohne Gletscher automatisch weniger reizvoll sind", fügte Fischer hinzu.

So werde der Schmelzwasserabfluss zwar immer geringer, je kleiner die Gletscherflächen werden, aber es bildeten sich dennoch neue Seen. Das eisfrei gewordene Gebiet werde "rasch von Vegetation wiederbesiedelt", vor allem "in tiefen Lagen unter Druck stehende kälteliebende Arten" fänden dort eine "ökologische Nische", beschrieb Fischer. Die aufkommende Vegetation trage zur "Stabilisation von Lockermaterial" bei.

Auch den ÖAV beschäftigt ebenjenes Lockermaterial. Aufgrund der durch Fels- und Steinschlag bedingten "schwer abschätzbaren Situation" und der Gletscherschmelze könnten "bestimmte Routen nicht mehr begangen werden", hielt Michael Larcher, Bergführer und Mitglied der ÖAV-Geschäftsleitung im APA-Gespräch fest. Auf manchen Gletschern fehle das "Eis als Stütze", durch das rasche Ausapern sei die Oberfläche nicht mehr so weiß wie früher und das "ewige Eis" teilweise schon Ende Juni "vielfach blank". Aber auch Larcher zeichnete kein gänzlich negatives Bild: "Auf den allermeisten Gletschern ist die Situation heute trotz der hohen Temperaturen nicht wesentlich anders als früher".

Jedenfalls stelle der Gletscherschwund "Menschen die ihre Arbeitsplätze in den Bergen haben" vor "große Herausforderungen", stellte Larcher fest. So müssten etwa Bergwege "immer wieder in einen Zustand versetzt werden, dass auch der durchschnittliche Alpinist sicher unterwegs sein kann". Dies werde zum Großteil von Ehrenamtlichen gemacht und führe zu "Strapazen und Frust" - im Wissen, dass man im folgenden Jahr wohl wieder mit "Schaufel und Spitzhacke" ausrücken müsse.

Die Begeisterung für das Hochgebirge halte jedenfalls an, unterstrich Larcher. Gletscherkurse des Österreichischen Alpenvereins würden stark nachgefragt und seien schnell ausgebucht. Die Lehrpläne habe man an die Gletscherschmelze anpassen müssen. In der Tourenplanung genüge es heute nicht mehr, ein Bergführerbuch zurate zu ziehen. Es gelte vielmehr "sich ganz speziell auf aktuelle Verhältnisse vorzubereiten". Larcher riet, einen "Informant vor Ort" zu kontaktieren und immer einen "Plan B mitzuberücksichtigen": "Es muss nicht immer das prominente Prestige-Ziel sein", mahnte der Bergführer.

Herausforderungen müssen sich angesichts der Gletscherschmelze auch Seilbahnbetreiber stellen. Gletscherskigebiete bemühten sich "das ganze Jahr über", die "weiße Pracht" so lange wie möglich zu schützen, betonte Matthias Dengg, Mitglied der Geschäftsführung der Hintertuxer Gletschers gegenüber der APA. Dies geschehe konkret etwa durch das Aufstellen von Windzäunen, dem Anlegen von sogenannten "Windfängern", die den Schnee auffangen, dem täglichen Präparieren der Pisten, damit der Schnee komprimiert und nicht so leicht vom Wind weggeblasen wird, dem "Aufbringen vom Gletscherschutzvlies an neuralgischen Stellen" und dem "Anlegen von Schneedepots um Gletscherränder zu schützen".

"Die Gletscherschmelze ist kein Prozess, der plötzlich passiert", sagte Dengg und fuhr fort: "Wir haben uns im Großen und Ganzen angepasst und müssen es auch in Zukunft so machen". Im Klimawandel sah der Unternehmer für "Tirol und den Alpenraum" durchaus auch Chancen, konkret etwa "die stetige Weiterentwicklung der eigenen Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit und Optimierung der Ressourcen". Genau wie jede andere Branche werde sich auch der Tourismus weiterentwickeln.

Durch die Klimakrise ziehen sich die Gletscher immer schneller zurück. Bis 2050 wird laut einer Berechnung der Technischen Hochschule Zürich jeder zweite Alpengletscher verschwunden sein - selbst wenn alle Staaten der Erde sofort ihren CO2-Ausstoß auf null zurückfahren würden. Falls die Erwärmung unter zwei Grad Celsius gehalten wird - würden zwei Drittel der Alpengletscher verschwinden. Wahrscheinlicher sei aber angesichts aktueller (ausbleibender) Fortschritte: In 80 Jahren sind die Alpen nahezu eisfrei.