APA - Austria Presse Agentur

Konflikt: Griechischer EU-Politiker wirft der Türkei Revisionismus vor

Der griechische Europaabgeordnete Manolis Kefalogiannis wirft der Türkei angesichts des schwelenden Konflikts mit seinem Land Revisionismus vor.

"Die Türkei hat, insbesondere nach dem Putsch von 2016, ihre europäische Orientierung verloren. Sie verhält sich oft wie ein Unruhestifter und verstößt gegen das Völkerrecht und die UNO-Charta", erklärte der EVP-Parlamentarier im APA-Gespräch. "Das Problem besteht darin, dass die Türkei zu einer revisionistischen Macht geworden ist."

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"In Europa haben wir aber seit Februar des Vorjahrs auf schmerzhafte Weise erfahren, wie gefährlich der Revisionismus heutzutage ist", meinte der Politiker und ehemalige Minister der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia (ND), der seit 2014 im EU-Parlament sitzt und dort bis 2019 auch dem Gemischten Parlamentarischen Ausschuss EU-Türkei angehörte, unter Verweis auf "den unprovozierten Einmarsch Russlands in die Ukraine, einen freien, unabhängigen und souveränen Staat."

Die Forderung nach einer Entmilitarisierung griechischer Inseln sei etwa reine Propaganda und verletze die souveränen Rechte Griechenlands, meinte der 63-Jährige in Bezug auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der Athen zuletzt eine steigende Präsenz der Armee auf griechischen Inseln in der Ostägäis vorgeworfen und offen mit Krieg ("Wir könnten zweifellos mitten in der Nacht kommen") gedroht hatte.

"Eine Entmilitarisierung gibt es seit dem Montreux-Vertrag von 1936 nicht mehr", entgegnete Kefalogiannis im APA-Interview und ergänzte: "Das unveräußerliche Recht auf Selbstverteidigung, das in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist, entkräftet diese Argumentation in jedem Fall. Die griechischen Inseln verfügen über keine offensive Infrastruktur gegen die Türkei. Alle diesbezüglichen Äußerungen ihrerseits sind nicht begründet." Sie seien auch reine Provokation.

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"Karte der Blauen Heimat"

Der EVP-Abgeordnete warf im Gegenzug der Türkei vor, mit ihrer "Karte der Blauen Heimat" die Ägäis in zwei Hälften zu teilen und die Hoheitsrechte der Inseln und das Seerechtsübereinkommen in Frage zu stellen. Er bezog sich damit auf eine auch in türkischen Armeekreisen gängige Landkarte, die ein als "Mavi Vatan" ( "Blaue Heimat") ausgewiesenes türkisches Hoheitsgebiet zeigt, welches auch die griechischen Ägäis-Inseln Limnos, Lesbos, Chios sowie den Osten Kretas umfasst. Das Original hängt Medienberichten zufolge in der Militäruniversität in Istanbul. Die Türkei und Griechenland streiten seit geraumer Zeit um Gasvorkommen, die im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis gefunden wurden. Nikosia und Athen sind mit Ankaras Ansprüchen auf Bohrrechte in der Region nicht einverstanden.

Der ehemalige Handelsmarine-Minister unterstrich den Willen Griechenlands, seine Souveränität "mutig und entschlossen" verteidigen zu wollen. Er verwies darauf, dass die Streitkräfte des Landes - etwa durch den Ankauf französischer Kampfjets - entscheidend gestärkt worden seien. "Wer also die Absicht hat, 'eines Nachts plötzlich zu kommen', sollte sich das doppelt überlegen."

Zwar habe Erdogan ein Treffen mit Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis ausgeschlagen, doch sei Griechenland "immer bereit, mit der Türkei zu diskutieren", betonte Kefalogiannis. Allerdings "auf der Basis des Völkerrechts und des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen" sowie in einem "Dialog, der die guten nachbarschaftlichen Beziehungen respektiert". Griechenland sei dafür offen. Nachsatz: "In der Türkei scheint das nicht der Fall zu sein."

Erdogan habe sich seit dem Putschversuch vor sechs Jahren von Europa entfernt, diagnostizierte Kefalogiannis. Am 15. Juli 2016 hatten Teile des Militärs gegen die Regierung Erdogans aufbegehrt. Es gab mehr als 250 Todesopfer und 2.000 Verletzte. Der Aufstand wurde schließlich niedergeschlagen. Die türkische Führung macht den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen für den Umsturzversuch verantwortlich. Die Behörden gehen seitdem gegen dessen mutmaßliche Anhänger, aber auch gegen Oppositionelle vor. Die Opposition wirft Erdogan vor, den Umsturzversuch als Vorwand genutzt zu haben, um ein autoritäres System zu schaffen. Sie zweifelt auch an der offiziellen Version und bemängelt eine fehlende Aufarbeitung der Putschnacht.

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Die aggressive Rhetorik und Politik Erdogans sei sicher auch auf die kommenden Wahlen in der Türkei zurückzuführen, analysierte Kefalogiannis: "Natürlich spielt das Bestreben des türkischen Präsidenten, wiedergewählt zu werden, und sein Bedürfnis, Wähler zu mobilisieren und um sich zu sammeln, eine wichtige Rolle bei der Eskalation der bestehenden Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei. Eine Wahlniederlage des Staatspräsidenten könnte für die Regierungsparteikader schmerzhafte Folgen haben."

Polemisierung der NATO-Beitritte

Erdogan gehe es im Hinblick auf die Wahlen nicht um die Lösung komplexer und langfristiger Probleme, sondern um einen sogenannten "schnellen Sieg", so der EVP-Abgeordnete. Daher schrecke er auch nicht davor zurück, gegen die NATO-Beitritte Finnlands und Schwedens zu polemisieren. Auch der Bombenanschlag in Istanbul von Mitte November werde instrumentalisiert, indem Erdogan Luftangriffe gegen "kurdische Terroristen" im Nordirak und Syrien fliegen lasse, kritisierte Kefalogiannis. Er stellte aber auch klar: "Der Anschlag mit so vielen unschuldigen Opfern in Istanbul ist absolut verwerflich, und die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Die "aggressive Politik der Türkei und ihre illegalen Aktionen" würden von allen europäischen Institutionen auf allen Ebenen unmissverständlich und unverblümt verurteilt, stellte der EU-Politiker zudem fest. So habe der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell klargestellt, dass die griechische Souveränität nicht in Frage gestellt werden dürfe. "Mehrmals verurteilte er unmissverständlich die Verletzungen des griechischen Luftraums und der griechischen Hoheitsgewässer sowie die Überflüge türkischer Kampfjets über bewohnte griechische Inseln."

(Das Interview führte Filippos Sacharis/APA)