APA - Austria Presse Agentur

Großer Umbruch in der Wiener Drogenszene

In der Wiener Drogenszene hat in den vergangenen Jahren ein großer Umbruch stattgefunden, und das merken auch Fahrgäste der Wiener Linien bzw. der ÖBB jeden Tag.

Der Straßenhandel mit Suchtmitteln befand sich noch vor wenigen Jahren größtenteils in den Händen von Dealern aus westafrikanischen Staaten. Diese sind aber in den vergangenen fünf Jahren etwa weitgehend von Drogenhändlern aus den Staaten des Westbalkans verdrängt worden.

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Wer bis kurz vor dem Beginn der Pandemie von Floridsdorf mit der U6 bzw. der Schnellbahn in Richtung Innenstadt unterwegs war, sah die meist aus Nigeria stammenden Straßenhändler jeden Tag, egal zu welcher Uhrzeit: fünf bis sechs Männer, verteilt auf zwei Waggons, die augenscheinlich planlos hin und her fuhren, nach Drogenfahndern Ausschau hielten und Drogen "vercheckten", also an die Abnehmenden verkauften. Seit einigen Jahren ist dieses Bild de facto kaum noch wahrzunehmen. Das bestätigte jetzt auch Oberst Wolfgang Preiszler, Chef der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) der Wiener Polizei, im Gespräch mit der Austria Presse Agentur.

Drogensituation in Wien

"Unseren Wahrnehmungen nach sind gewisse Teile des öffentlichen Netzes nach wie vor durch afrikanisch-stämmige Dealer dominiert, jedoch zugegebenermaßen in geringerer Intensität, als dies bereits der Fall war", so der Fahnder. Sichtbar ist diese Szene rund um die Schnellbahn zwischen Wien Mitte und Matzleinsdorfer Platz bzw. entlang der Straßenbahnlinien 6 und 18 zwischen Margaretengürtel und Matzleinsdorfer Platz oder entlang der U6 zwischen den Stationen Jägerstraße und Michelbeuern mit einem Schwerpunkt bei der Station Nußdorfer Straße. Auffallend ist Preiszler zufolge, dass dabei Kleinstmengen an Suchtgift, vor allem Kokain, an Süchtige abgegeben werden. Eine typische Menge sind dabei 0,2 Gramm, der Preis gering, die Qualität ebenso.

An anderen Hotspots der Straßenverkaufsszene sind die Täter aus westafrikanischen Staaten von Gruppen, die aus Ländern des Balkans stammen, sowie von nordafrikanischen Gruppierungen in den Hintergrund gedrängt worden. Dabei bekamen erstere die "Medizin" zu spüren, die sie Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre selbst verabreicht hatten. "Wenn du einen Drogenmarkt übernehmen willst, musst du mit der Qualität des Suchtgiftes oder mit dem Preis etwas machen - oder mit beidem", erläuterte der EGS-Chef.

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Die vor allem aus Nigeria kommenden Dealer übernahmen das Straßengeschäft in Wien vor mehr als 20 Jahren in großem Stil. Die zuvor - wie heute - aus Balkanstaaten oder aus der Türkei stammenden Dealergruppen wurden verdrängt, weil sie qualitativ minderwertigere Drogen verkauften. Die Übernahme des Wiener Marktes führte letztlich auch zur Gründung der EGS: "Wir haben damals an einem Tag 114 verschiedene Dealer gleichzeitig am Schwedenplatz gezählt", schilderte Preiszler.

Die westafrikanischen Tätergruppen hatten auch den Vorteil der leichten Erkennbarkeit für die Süchtigen, was umgekehrt für die in Wien lebende Community aus den Subsahara-Staaten große Probleme mit sich brachte. Es kam wiederholt vor, dass diese vor Süchtigen flüchten mussten, die sie irrtümlicherweise für Dealer hielten. Das konnte abgesehen von allen anderen Problemen - etwa mit der Polizei - auch sehr schnell gefährlich werden, wenn zum Beispiel Drogenabhängige glaubten, dass ihnen der vermeintliche Händler keinen Stoff verkaufen wolle, oder die Suchtkranken überhaupt Raubabsichten hegten.

Für die Polizisten war der Umgang mit westafrikanischen Dealer zwar schweißtreibend, aber deutlich ungefährlicher als jetzt: "Diese haben sich auf ihre Fitness verlassen und sind gerannt, wenn sie uns bemerkt haben. Bewaffnet waren sie im Regelfall nie, und gewehrt haben sie sich auch nur, wenn sie eine Chance zu entkommen gesehen haben", sagte Preiszler. Dennoch habe es einige schwer verletzte Beamte gegeben.

"Neue Täter sind mit besserer Qualität hineingefahren."

Die Qualität des Stoffes, den die Händler aus Westafrika verkauften, ging aber immer weiter hinunter: "Das Ziel des Dealers ist, Geld zu verdienen", erläuterte Preiszler. Die Rechnung war offenbar, dass mehr Streckmittel auch mehr Portionen Suchtgift als ohne Zusatzstoffe bedeutete, und das wiederum mehr Gewinn. Damit machten sie aber gleichzeitig die Tür für neue Player auf. Kriminelle Organisationen aus Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien drängten - wieder - auf den Markt mit deutlich höherwertigem Heroin, Kokain und auch Marihuana. "Neue Täter sind mit besserer Qualität hineingefahren."

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Die Drogenhändler aus den Westbalkan-Staaten sind zudem meist bewaffnet, arbeiten deutlich konspirativer und sind auch wesentlich strukturierter in der Organisation, betonte Preiszler. "Sie sind im Straßenbild unauffälliger und auch für Süchtige schwerer zu erkennen. Früher brauchten sie einen Vermittler, heute nicht mehr", schilderte der EGS-Chef. Damals habe es noch fast keine Handys und gar keine Apps für anonyme Kommunikation gegeben. Was es für die Polizei bei der Ermittlungsarbeit nun noch schwieriger macht: "Sie kommunizieren über Messengerdienste." Nicht zuletzt deshalb wäre die Überwachung der Messengerservices aus Polizeisicht wünschenswert.

Deshalb setzen die Drogenfahnder darauf, dass Dealer und Käufer irgendwann Kontakt haben müssen. "Wir gehen in die Szene und beobachten die Abläufe. Bemerken wir Abweichungen zum Tagesablauf, nehmen wir die Observierung auf und, wenn es dann zur Übergabe kommt, vollziehen die Festnahmen", erläuterte Preiszler. Gelingt es den Beamten auch, sogenannte Bunkerwohnungen auszuforschen, wo die Dealer größere Mengen der Ware gelagert haben, ist die Amtshandlung umso erfolgreicher.

Über die Strukturen der Dealer aus den Staaten des Westbalkans wollte Preiszler mangels Zuständigkeit nicht viel sagen. Nur so viel: Es dürfte sich um hochgradig mafiöse Organisationen handeln, die sich nicht nur auf den Drogenhandel konzentrieren, sondern in allen kriminellen Sparten zuhause sind, mit denen sich viel Geld verdienen lässt. Als Beispiele seien Menschenhandel, Waffenhandel und Schlepperei genannt.

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Rekrutierungsprobleme für den Straßenhandel scheinen sie nicht zu haben: "Ich habe Wartelisten gesehen, voll mit Namen von Menschen, die als Straßendealer arbeiten wollen", schilderte Preiszler. Das seien oft Familienväter in Not, die für zwei Monate hier viel Geld verdienen wollen, um dann mit den Einnahmen wieder nach Hause zurückkehren und dort die Familie einige Zeit ernähren zu können. Sollten sie in Wien erwischt werden, kümmert sich die Organisation um sie im Strafverfahren sowie im Gefängnis - Schweigen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden vorausgesetzt. Den Familien in der Heimat wird in einem solchen Fall ebenfalls Versorgungssicherheit zugestanden.