Heute Buchpräsentation: Leander Fischers "Die Doppelgänger"
Worum es diesmal geht, ist deutlich weniger klar auszumachen als damals, als sich Fischer schon mal dutzende Seiten lang in die Kunst, einen Köder namens Goldkopfnymphe zu binden, vertiefen konnte. Auch diesmal lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen, wenn er einen Gegenstand oder einen Vorgang gefunden hat, den detailliert zu beschreiben sich lohnt. Doch dann wechselt er das Thema unvermittelt - und der Leser fühlt sich alleine gelassen und muss sich ganz ohne Hilfe neu orientieren.
Wurde man etwa eben noch mit einer Kurzabhandlung über Streichhölzer und Kerzen konfrontiert, gibt es schon wirtschaftshistorische Anmerkungen über den Niedergang der Mühlviertler Flachsproduktion angesichts des Siegeszugs der Baumwolle "über die erdumspannenden Handelswege, bis aller Welt Kasernenregale, Ladenschubladen und Operngarderoben anno dazumal vollgestopft überquollen von diesem Dumpingexporthit aus Übersee wie die Bäuche der ebenfalls von Takelagensingsang, Wendesegeldonnern und Peitschenknall widerhallenden Schiffe". So klingt das, wenn sich ein Autor ganz dem Rhythmus und der Sprachmelodie überlässt.
Fischer verweigert die simple Narration, doch er versteht es, die Sprache abseits des Storytellings als ein kunstvolles Instrument einzusetzen, um den "Rückübersetzungsprozess im Hirn" angesichts der "Kollision lichter Wellen und fester Objekte mit der Pupille, der Bündelung und Projektion durch Linse und Glaskörper an der hinteren Netzhaut" so zu unterstützen, dass "die kopfstehende Welt" eine geschliffene Schönheit erhält, auch wenn die nicht nur von Logischem und Sinnhaftem geprägt ist, sondern etwa auch so genannt werden kann: "kosmischer Unfug, universaler Wahnwitz, Mumpitz, Irrnis, Humbug, Firlefanz".
Ein Quartett an Protagonisten bietet immerhin Anhaltspunkte, wohin die Sprachreise geht, deren einzelne Etappen vor allem in Wien, aber auch in Berlin und Hildesheim spielen und zeitlich wie thematisch für Sprünge sorgen. Doch die Zwillinge Viktor und Niklas Adler, Vik und Nik, sind freilich auch kein Garant für Gewissheit, denn sie sind einander zum Verwechseln ähnlich. Fischer widersteht freilich der Versuchung, diese Konstellation für einen Schelmenroman oder eine Verwechslungsposse zu nutzen, sondern stellt ihnen lieber zwei energische junge Frauen zur Seite: Marlene und Elena, eine Autorin und eine bildende Künstlerin am Anfang ihrer Karriere, machen die Lektüre freilich nicht übersichtlicher.
Mal wird der erste Tag als Kellnerin in einem Kaffeehaus zum Eklat, mal scheint beim Maßschneider Fritz von Herzmanovsky-Orlando Stammkunde zu sein, mal werden mit größter Akribie Drachen gezeichnet. Schneeballschlachten und Kunstperformances, die Kirche und die Mafia, der Prater und Steinhof - alles wirbelt durcheinander. Mitunter bringt Leander Fischer jedoch alles zum Stehen. Dann fokussiert er etwa auf eine Zecke im Schlafzimmer. Und liefert eine Szene, die man SO gewiss noch nie gelesen hat.
(S E R V I C E - Leander Fischer: "Die Doppelgänger", Wallstein Verlag, 496 Seiten, 28,80 Euro, Buchpräsentation: heute, Montag, 27. März, 19 Uhr, Alte Schmiede, Schönlaterngasse 9, 1010 Wien. Lesung: 29. März, 20 Uhr, Panoramabar der Stadt:Bibliothek Salzburg, Schumacherstraße 14)
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