APA - Austria Presse Agentur

Igor Levit erklomm in Salzburg einen pianistischen Berg

Seit jeher versucht der Mensch, seine Grenzen auszuloten. Dafür fliegen dieser Tage Milliardäre mit selbst gebauten Raketen ins All, Olympioniken nach Tokio, und Pianist Igor Levit absolvierte dafür am Mittwochabend bei den Salzburger Festspielen einen pianistischen Triathlon in der Stiftung Mozarteum mit Ronald Stevensons "Passacaglia on DSCH".

Ironmandistanz wird beim Triathlon die Kombination aus 3,862 km Schwimmen, 180,246 km Fahrradfahren und 42,195 km Laufen genannt. Für manch einen Athleten ist die Absolvierung eines Ironman ein Lebensziel. Einmal dabei gewesen sein auf Hawaii, in Südafrika oder Brasilien und für ganz wenige auch mit dem Sieg, als Ironman, wieder heimkommen. Die Ironmandistanz im Sport lässt sich in der Klavierliteratur auf Ronald Stevensons "Passacaglia on DSCH" übertragen. Das Werk umfasst ebenfalls drei Teile, mit für den normalen Pianisten schier unmöglich anmutenden Passagen und einem rund 80-minütigem Dauerlauf für die Hände.

Igor Levit ist ein Ironman. Ein paar Mal hat er die "Passacaglia" bereits bezwungen, jedes Mal wurde das als Ausnahmeleistung gefeiert und wie bei den meisten Triathleten, machte auch bei ihm ein absolvierter Lauf nur noch mehr Lust auf den nächsten. Im September erscheint eine Einspielung dieses Werks aus Levits Händen. Doch hier sei wie beim Film empfohlen: Zuerst das Buch lesen!

Ronald Stevensons "Passacaglia on DSCH" muss man nicht nur gehört, sondern vor allem gesehen haben. Erst dann werden einem die Strapazen bewusst, die der Pianist auf sich nimmt, um die 141 Notenseiten überwinden zu können. Den Kampf muss er alleine kämpfen, nur das thematische Viertonmotiv, D-(E)s-C-H, in schier unendlichen Variationen weicht nicht von seiner Seite, das in Noten übersetzte Monogramm Dimitri Schostakowitschs, der den schottischen Komponisten zu seinem Werk inspirierte.

Während die Triathleten Berge, Wälder und Seen passieren, muss Levit vorbei an Walzern, Märschen und Fugen. Er spielt keltische Dudelsackweisen, tanzt Fandango und feuert mit nur zehn Fingern im zweiten Teil die "Kriegs-Visionen" mit einer Durchschlagskraft ab, als säße eine gesamte Artillerie am Steinway. Dabei lassen sich mal mehr, mal weniger einzelne Monumentalwerke der Musikgeschichte erhören, die Stevenson in seiner "Passacaglia" verarbeitet hat. Besonders deutlich durchklingen lässt Levit das bei Bachs "d-Moll Toccata" oder der mittelalterlichen "Dies irae"-Sequenz. Auf die Spitze wird das Spiel der körperlichen Anstrengung letztlich getrieben, als Levit aufsteht und parallel zur Begleitung in der linken Hand mit der rechten in die Saiten des Flügels greift und sie mehrere Minuten zupft.

"Jeder vernünftige Mensch hat das Recht dazu, einmal am Tag überfordert zu werden", heißt es in der Einleitung des Programmhefts. Levit scheint am Ende der knapp eineinhalb Stunden zwar gefordert, aber keineswegs überfordert. Das Publikum im Großen Saal bejubelt seinen Ironman dafür mit stehenden Ovationen und Jubel, was Levit mit einem breiten Grinsen im Gesicht entgegen nimmt. Am Donnerstagmorgen postete der Pianist auf seinem Instagram-Account ein Foto, auf dem er mit Sportklamotten und Turnschuhen im Aufzug steht. Nach dem Triathlon ist bekanntlich vor dem Triathlon.