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In der Fremde: Leila Slimanis Roman "Das Land der Anderen"

Mit ihrem Roman "Chanson douce" (deutsch: "Dann schlaf auch du") gewann Leïla Slimani 2016 den Prix Goncourt. Der Psychothriller über ein Kindermädchen, das scheinbar motivlos zur Mörderin wird, wurde nicht nur in Frankreich ein Bestseller. Nun hat sich die 1981 in Rabat geborene und heute in Paris lebende französisch-marokkanische Autorin ihrem Herkunftsland gewidmet: Der Roman "Das Land der Anderen" führt in das Marokko der 1950er-Jahre. Es ist ein trauriges Buch geworden.

Anhand der zwei Generationen zurückliegenden Geschichte geht es um aktuelle Themen: um Fremdheit, um Rassismus, um nur schwer zu überwindende Unterschiede zwischen Kulturen, Traditionen und Mentalitäten. Slimani verkitscht nichts, macht aber auch aus der großen Anziehungskraft der Gegensätze kein Hehl. Lust an Erotik, Exotik und Abenteuer spielen eine Rolle, als sich die junge Elsässerin Mathilde am Ende des Zweiten Weltkriegs in Amine verliebt, einen gut aussehenden marokkanischen Offizier im Dienst der französischen Armee, der deutlich kleiner ist als sie. Sie folgt ihm nach Marokko - und die Schwierigkeiten beginnen.

Die Bedingungen des kargen Ackerlands bei Meknès am Fuß des Atlas-Gebirges, wo Amine Land geerbt hat, sind deutlich härter als erwartet. Der Ehemann ist ständig auf dem Feld, die junge Frau, bald zweifache Mutter, fühlt sich einsam und ausgeschlossen, versucht aber gleichzeitig krampfhaft an christlichen Gebräuchen wie Weihnachten festzuhalten und einen eigenen Weg zu gehen, bei dem sie letztlich zwischen allen Stühlen landet. Hinzu kommt der beginnende Unabhängigkeitskampf der Marokkaner, in dem sich auch Amines Bruder engagiert. Beim Versuch, die französische Kolonialherrschaft abzuschütteln ist eine Ehe zwischen einem Araber und einer Französin von keiner Partei gerne gesehen. Nur mühsam kann sich Mathilde bei einem Heimatbesuch nach dem Tod ihres Vaters dazu durchringen, wieder zu Mann und Kindern zurückzukehren.

Die Zeichen stehen mehr auf Separation denn auf gegenseitiges Verständnis. Zum Auslöser der familiären Katastrophe wird aber nicht die hochbegabte Tochter des Paares, in der sich eine bessere Zukunft andeutet, sondern die bildhübsche Schwester Amines, die gegen die herrschenden strikten Moralvorstellungen rebelliert. Mit einem Mal wird aus dem Hort des Rückzugs, in dem Mathilde sich durch ihre Empathie und ihre medizinischen Kenntnisse auch die Anerkennung von Teilen der Bevölkerung erwirbt, ein Ort des Schreckens und der Gewalt. Man hätte dem flott geschriebenen, die Verhältnisse sehr anschaulich schildernden Roman einen guten Ausgang gewünscht. Doch es bleibt "Das Land der Anderen", und der zum Spaß der Kinder aus einem aufgepfropften Zweig künstlich geschaffene "Zitrangenbaum" trägt nicht süße, sondern bittere und ungenießbare Früchte.

Leïla Slimani hat "Das Land der Anderen" an die Geschichte ihrer Großeltern mütterlicherseits angelehnt. Das Buch soll der erste Teil einer dreiteiligen Familiengeschichte sein. Man darf gespannt sein, wie nahe sie diese Geschichte an sich selbst herankommen lässt. Von außen wirkt ihr Leben als Gattin eines Bankers, dem sie im Nachwort in warmen Worten für seine Unterstützung dankt, als Mutter zweier Schulkinder und als von der Politik herumgereichtes Beispiel erfolgreicher Integration, jedenfalls als Erfolgsmodell, zu dem man gerne die Innensicht kennenlernen würde.

(S E R V I C E - Leïla Slimani: "Das Land der Anderen", Aus dem Französischen von Amelie Thoma, Luchterhand Literaturverlag, 384 Seiten, 22,70 Euro)