APA - Austria Presse Agentur

Jahrhundertzeugin: Leopold Museum widmet sich Tilla Durieux

Ihr Wandel war so beeindruckend wie ihre Wandlungsfähigkeit. Die 1880 in Wien geborene Ottilie Helene Angela Godeffroy war keine Schönheit und wurde deshalb bei ersten Versuchen, auf der Bühne Fuß zu fassen, brüsk zurückgewiesen ("lernen's lieber kochen"). Doch als Tilla Durieux wurde sie zum Theater- und Filmstar und zu einer der am meisten porträtierten Frauen ihrer Epoche. Eine Ausstellung über die "Jahrhundertzeugin und ihre Rollen" führt im Leopold Museum den Beweis.

"Nein, die Ausstellung gehört nicht ins Theatermuseum", begegnete Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger möglichen Einwände bereits zu Beginn der heutigen Presseführung. "Es ist eine Kunstausstellung." 233 zusammengetragene Werke, darunter 14 Gemälde, 16 Skulpturen, 81 Papierarbeiten und 84 Fotografien belegen dies auch eindrucksvoll. Von ihrer Wirkung vor Zuschauern kann man sich dagegen nur an einem einzigen Video-Ausschnitt (nämlich in dem 1960 anlässlich ihres 80. Geburtstags produzierten TV-Krimi "Langusten" von Wilhelm Semmelroth) einen Eindruck verschaffen - was schade ist. Ihre Wirkung auf Künstler dürfte aber umwerfend gewesen sein.

"Sie wurde nicht gern porträtiert, am liebsten noch von Frauen", sagte Kuratorin Daniela Gregori. "Porträtsitzungen waren immer ein Problem für sie." Ein offenbar häufiges Problem, kann man beim Schlendern durch die am Donnerstagabend eröffnende Schau feststellen, die in Kooperation mit dem Georg Kolbe Museum und dem ihren Nachlass aufbewahrenden Archiv der Berliner Akademie der Künste entstand und ab Mai 2023 in einer eigenen Version in Berlin zu sehen sein wird. Ihre Sitzung für das 1914 entstandene Porträtbild von Auguste Renoir ist auch fotografisch dokumentiert, Max Slevogt, Lovis Corinth, Franz von Stuck und Max Oppenheimer schufen ebenfalls eindrucksvolle Porträts. Ernst Barlach fertigte gleich vier Porträtbüsten von ihr an und bekam sie offenbar nicht aus seinem Kopf. "Ihm geriet ihr Gesicht immer wieder in seine Werke", sagte Gregori.

Ein Porträtgemälde von Oskar Kokoschka gefiel Durieux dagegen gar nicht. Man habe das vor einigen Jahren aus dem Kölner Museum Ludwig restituierte Bildnis trotz intensiver Bemühungen ("wir haben alles versucht") jedoch nicht für die Ausstellung bekommen, sagte die Kuratorin. Die stattdessen gezeigte Kokoschka-Lithografie dürfte der Schauspielerin wohl auch nicht gefallen haben (und lässt zudem erstaunliche Ähnlichkeit mit Kokoschka selbst erkennen) - offeriert aber exemplarisch die Problemzonen eines Gesichts, das der Theaterkritiker Alfred Kerr als "weiße Negerin" beschrieben haben soll. Gleichzeitig setzen sich aber gerade die breiten Backenknochen, die eher knollige Nase, der spöttische Mund und die leuchtenden Augen zu einem vielschichtigen Reiz zusammen, der über das klassische Schönheitsideal weit hinausgeht. Gregori: "Sie wird nicht als hübsch wahrgenommen, schöpft aber daraus Selbstbewusstsein - und wird immer schöner."

Ihre Wandlungsfähigkeit zeigt u.a. auch eine 1923 entstandene Mappe von Zeichnungen von Felix Albrecht Harta, der Tilla Durieux in den unterschiedlichsten Posen zeigt. Über ihre Theater- und Filmrollen erfährt man dagegen relativ wenig. Dafür hätte man sich eventuell eine Zusammenarbeit mit dem Theatermuseum gewünscht. Auch die von Wipplinger und vom Ausstellungs-Untertitel versprochene "Reise durch 100 Jahre Kulturgeschichte" ist eher ein kursorischer Ausflug. Ihr Zürcher Exil im Ersten Weltkrieg, die Wirren der Münchner Räterepublik, ihre abenteuerliche Flucht 1933 direkt aus einer Vorstellung nach Prag, der Zagreber Widerstand gegen den Nationalsozialismus - all' das wären spannende Kapitel gewesen.

"Sie war ein Role Model für die moderne Frau", sagte die Kuratorin - und zeigt dafür relativ wenige Beweisstücke. Doch es ist eine Kunstausstellung - und endet mit berührenden Dokumenten aus der späten Lebensphase der Künstlerin, die als Salome bei Max Reinhardt ihren Durchbruch feierte, in zweiter Ehe mit dem Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer verheiratet war und 1971 starb. Anlässlich ihres 65-jährigen Bühnenjubiläums stiftete sie den Tilla-Durieux-Schmuck, der alle zehn Jahre an eine andere Bühnenkünstlerin weitergegeben wird. Seit heuer ist Gabriela Maria Schmeide Trägerin des Colliers - und hat ihn dem Leopold Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Gregori: "Sie ist, glaube ich, ganz froh, dass sie ihn für die Dauer der Ausstellung hier wohlbehütet in einer Vitrine weiß."

(S E R V I C E - "Tilla Durieux. Eine Jahrhundertzeugin und ihre Rollen", Ausstellung im Leopold Museum in Wien, 14.10.2022 bis 27.2.2023, tgl. außer Di, 10-18 Uhr; Katalog, erschienen im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, 300 S., 34,90 Euro; www.leopoldmuseum.org)