APA - Austria Presse Agentur

"Jammern" ist nicht der Beruf von Gerhard Haderer

Der Lockdown war für ihn "persönlich eine wunderbare Zeit" im Gegensatz zu seinen darstellenden Künstlerkollegen, sagt Karikaturist Gerhard Haderer. Dass deren Videoaktion '#allesdichtmachen" daneben gegangen sei, "macht nichts". Was derzeit in der Welt- und österreichischen Politik geschehe, dürfe nicht widerspruchslos bleiben. Das "demokratische Grundprinzip" stehe auf dem Spiel, meinte er im Gespräch mit der APA anlässlich seines 70. Geburtstages am Samstag.

Bisher bezeichnete sich Haderer gerne als Geburtstagsmuffel. Doch heuer ist das anders, es wird gefeiert. Aber "keine Sorge, das hat nichts mit der Isolation zu tun". Einen 70er könne man nicht übergehen, das Zurück in eine gewisse Freiheit nach dem Lockdown sei für ihn persönlich kein Feiergrund. "Die Corona-Zeit ist eine wunderbare Zeit gewesen für mich persönlich, ich habe es wirklich gut gefunden, diese Entschleunigung". Er ist sich aber einer gewissen "Gnade" bewusst, dass "ich mich in der Zeit mit meiner Arbeit zu Wort melden" habe können. Die Entbehrungen für Schauspieler oder Musiker habe er durch seine beiden Freunde Udo Lindenberg und Helge Schneider vor Augen geführt bekommen. "Beide wissen, was es für eine Tragödie bedeutet, wenn man das Grundnahrungsmittel Publikum nicht um sich hat." Da gebe es schon "den Schulterschluss unter den Künstlern".

So will er auch nicht die Videoaktion "#allesdichtmachen" von Schauspielern aus Deutschland und Österreich verurteilen. "Die Satire der Initiative ist daneben gegangen, macht ja nichts. Wenn ich mir mal so überlege, was ich so vor mich hinsprühe, und das seit einigen Jahrzehnten bereits, dann ist das Scheitern, das Provozieren des Scheiterns eigentlich auch ein Mittel, mit dem man sich äußert." Für den Karikaturisten sei auch "ganz klar, immer wieder über Grenzen gehen zu müssen, auch Halbfertiges von sich zu geben, das haben die Kolleginnen und Kollegen gemacht. Also was soll's", er habe jedenfalls kein Problem damit.

Derzeit brennt ihm ganz anderes unter den Nägeln, denn "kein Stein bleibt auf dem anderen. Die ganzen sogenannten hochzivilisierten Gesellschaften haben wirklich jeden Grund, mal mit sich ins Reine zu kommen. Es passiert sehr viel im Augenblick, das hat eine Dynamik, die nicht nur mit einigen Despoten wie etwa der Flugzeugentführung (von Weißrussland erzwungene Landung eines Linienflugs von Athen nach Vilnius in Minsk, Anm.) zu tun hat, sondern das ist ein gewaltiger Umbruch, eine Zäsur."

Auch was derzeit von der österreichischen Regierung zu sehen sei, dürfe man sich nicht widerspruchslos gefallen lassen. Allerdings deswegen "auf die Straße zu rennen und vor sich hin zu grölen 'Kurz muss weg'" findet er nur "blöd". Man müsse sagen, "das ist nicht der Weg, den wir uns wünschen. Also bitte macht etwas, was auch für uns akzeptabel ist. Das ist eine Form des Widerstandes."

Haderers 230 Quadratmeter großes Plakat, das an einem Haus am Wiener Naschmarkt gehangen ist, und Kanzler Sebastian Kurz im Slim-Fit-Anzug mit einem herzförmigen Loch unter dem Sakko zeigt, sei auch "ein sehr sanfter Appell: Im Augenblick vertrittst du eine Politik, die nichts mit Herz zu tun hat, ändere das und setze ein Zeichen." Das sei ja kein "Killerargument, sondern liebevolle Kritik", die für den Menschenliebhaber, der er sei, aber unabdingbar ist. Denn "wir dürfen keine kleine Führungselite haben, der wir alles anvertrauen, das ist viel zu gefährlich." Schließlich gehe es um "ein demokratisches Grundprinzip und das lautet einfach: Dialog miteinander und auch kultivierte Konfrontation. Wenn etwa das Parlament als Quatschbude bezeichnet wird, dann muss man nicht sehr informiert sein über politische Abläufe, um zu wissen, da wiederholt sich einiges, was wir irgendwann einmal erlebt haben, das müssen wir nicht noch einmal praktizieren, das ist nicht notwendig."

Trotz seiner jahrzehntelangen pointierten Analysen des Welt- und österreichischen Politgeschehens mit der Feder, bezeichnet sich Haderer noch immer als "Optimist". "Jammern ist nicht mein Beruf". Es gebe ja in Österreich "die klassische Aussage, es kommt nichts besseres nach. Also lassen wir den Kanzler jetzt mal da, er schaut hübsch aus. Entscheidend ist, dass man in dieser Position auch an die Menschen denken muss, nicht nur als Wählerpotenzial, sondern auch an ihre Befindlichkeiten."