Jüdisches Museum spürt der Fankultur im Fußball nach

"Superjuden" würdigt auch die Wiener Fußballclubs mit ihren Fanszenen
Jüdische Fußballkultur. Wer denkt bei diesem Begriff nicht zuerst an den Verein Hakoah, der bis heute das Bild in der Öffentlichkeit prägt. Dass jüdische Fußballgeschichte jedoch deutlich weiter reicht, das zeigt die neue Schau "Superjuden" im Jüdischen Museum Wien, die ab Mittwoch den Fankulturen von fünf Klubs nachspürt - samt den damit einhergehenden Ambivalenzen. "Genau deshalb haben wir diese Ausstellung gemacht", unterstrich am Dienstag Direktorin Barbara Staudinger.

Es geht um jüdische Geschichte im Stadion, primär jedoch nicht erzählt anhand einzelner Proponenten, sondern als kulturelles Phänomen. So entfaltet sich rund um das runde Leder ein ganzer Fragenkatalog, in dem kulturelle Aneignung oder die affirmative Umdeutung von Schmähbegriffen abgehandelt wird. Letztlich schwebt über allem die Grundfrage: Was ist jüdisch?

Den Ausgang nimmt die Schau, deren Ausstellungsarchitektur an die Gestalt einer Fankurve erinnert, bei den beiden Wiener Vereinen Vienna und Austria Wien, die beide jüdische Aspekte in ihrer Historie haben, damit über lange Zeit jedoch unterschiedlich umgegangen sind. So wurde die Vienna bei ihrer Gründung finanziell von Nathaniel Mayer Freiherr von Rothschild unterstützt und wies zahlreiche jüdische Funktionäre in ihren Reihen auf - ein Umstand, den Fankollektive wie "Partisan*Rothschild" selbstbewusst als Gründungsmythos ihres Vereins aufgreifen.

Etwas ambivalenter agierte da längere Zeit die Austria, die pejorativ von gegnerischer Seite oftmals als "Judenklub" tituliert wird, da sie bei ihrer Gründung als Klub des assimilierten jüdischen Bürgertums galt und jüdische Funktionäre wie den aus dem Exil zurückgekehrten Präsidenten Emanuel Schwarz oder Klubsekretär Norbert Lopper hatte. Zugleich stehen augenzwinkernden Fanformationen wie den "Tempel Boys" auch rechte Gruppierungen gegenüber.

Neben der Würdigung der Lokalgrößen wirft "Superjuden" jedoch auch den Blick über die Landesgrenze hinaus und hat sich dabei drei zentrale Vereine des internationalen Fußballzirkus herausgegriffen, allen voran Ajax Amsterdam. Dessen Ultrafangruppe "Superjoden", also "Superjuden", lieferte auch den Titel der Ausstellung. Anhand dessen wird thematisiert, wie eine reale oder vermutete jüdische Geschichte des eigenen Klubs in die Fankultur integriert wird. Schließlich kommt der Ruf des jüdischen Vereins Ajax vor allem deshalb zu, weil das erste Stadion des Klubs in einem jüdischen Viertel lag.

In den hooliganaffinen 70ern nannten sich die großteils nicht-jüdischen Mitglieder der gewaltbereiten Ultragruppe "F-Side" dann "Superjoden", um den Fans anderer Mannschaften etwas entgegenzuhalten. Bis heute zeigt man mit Davidstern und Israel-Flagge seine Identität, die doch gleichsam eine angenommene, letztlich unter den Begriff der kulturellen Aneignung fallende ist.

Nicht unähnlich gelagert ist die Situation beim englischen Erstligisten Tottenham Hotspur, der wie Ajax sein Stadion in einem jüdischen Viertel hatte. Die Punzierung als "Judenklub" führte letztlich dazu, dass heute Ultraformationen zur Eigendefinition als "Yids" oder "Yiddos" greifen und den zuvor abwertend gebrauchten jiddischen Begriff "Yid" für sich vereinnahmen. Ob sich eine nicht-jüdische Fangruppe jedoch als "Yid Army" bezeichnen sollte und damit zur Reproduktion von Stereotypien beiträgt, ist dabei immer wieder Gegenstand heftiger Debatten.

Der Blick auf den FC Bayern München schließt das Fußballrund. Vor 1933 hatte der Verein zehn Prozent jüdischer Mitglieder, und bis heute ist es die Ultragruppe "Schickeria München", die das Gedenken an den einstigen Vereinspräsidenten Hans Landauer hochhält, der 1933 abtreten musste, nach dem Krieg aber wieder in Amt und Würden kam. So hat Bayern München heute eine große Fanbase in Israel mit eigenen Fanclubs wie "Bayern Israel". Und so gilt auch am Ende dieser Schau über Fußballidentitäten und Fankulturen letztlich die alte Bundeskanzler-Weisheit: "Es ist alles sehr kompliziert."

(S E R V I C E - "Superjuden. Jüdische Identitäten im Fußballstadion", kuriert von Agnes Meisinger und Barbara Staudinger, von 12. Juli bis 14. Jänner 2024 im Jüdisches Museum Wien, Dorotheergasse 11, 1010 Wien. Geöffnet Sonntag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr. www.jmw.at/ausstellungen/superjuden)

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