APA - Austria Presse Agentur

Jüdisches Museum zeigt Aufnahmen aus Wien 1945

Der Frühling 1945 war in Wien eine Phase des radikalen Umbruchs, ein rasender Stillstand zwischen dem mit 13. April besiegten Nationalsozialismus und der noch nicht begonnenen Nachkriegsordnung. In diesem Auge des Sturms stand ein Mann mit seiner Kamera als Dokumentarist, Propagandist und nicht zuletzt Zeitzeuge: Jewgenij Chaldej. Seine in diesen Wochen entstandenen Aufnahmen sind nun unter dem Titel "Fotograf der Befreiung" im Jüdischen Museum versammelt.

Der 1917 in der heutigen Ukraine geborene Chaldej, dessen jüdische Familie großteils von den Nationalsozialisten ermordet wurde, hatte zu diesem Zeitpunkt im Auftrag der Nachrichtenagentur TASS die Sowjetarmee bereits vier Jahre lang begleitet. Und auch in Wien schritt Chaldej unmittelbar zur Tat. Auch wenn er heute eher durch andere ikonografische Arbeiten bekannt ist, wie seine Aufnahme vom Rotarmisten, der die Sowjetfahne auf dem Berliner Reichstag hisst, oder durch seine Ablichtungen bei den Nürnberger Prozessen, so sind seine Wiener Fotos nichtsdestoweniger spannende Dokumente.

Der erfahrene Kriegsfotograf lichtet die Ruinen der Stadt ebenso ab wie die letzten Kämpfe, zeigt die Siegerposen der Russen wie er Propagandaaufnahmen zu inszenieren weiß, zu denen gleichsam als offizielles Befreiungsfoto jene von Rotarmisten mit rot-weiß-roter Fahne im Hintergrund gehört. Die Negative mussten die gleichsam als eingebettete Journalisten tätigen Fotografen damals abliefern, und Chaldej wusste, was von den oberen Ebenen gewünscht war.

Und doch fotografierte er auch abseits dieses offiziellen Auftrags und zeigt etwa den augenscheinlichen Schock, der den Generälen ins Gesicht geschrieben ist, die am Wiener Rathausplatz vor einer Familie von Nationalsozialisten stehen, die Selbstmord begangen hat. Oder er hat ein Auge für die durch die Stadt ziehenden Flüchtlinge.

"Er saß auf einem riesigen Archiv an Aufnahmen", erinnert sich der Journalist Erich Klein am Dienstag an seine Zeit in Russland, wo er den 1997 verstorbenen, im Alter einsamen Chaldej einst kennenlernte. Er habe sich den Zugang zu den rund 600 einst in Wien geschossenen Bildern gleichsam ertrinken müssen, so Klein lächelnd.

Die Arbeit hat sich gelohnt, wie die von Klein gemeinsam mit Marcus G. Patka kuratierte Schau zeigt. Dabei sind die Chaldej-Aufnahmen durch jene seiner Kollegin Olga Lander ergänzt und werden durch Videos respektive Fundstücke der Zeit in ihren Kontext gesetzt, der eine Stimmung des Frühlings in Wien vor 76 Jahren vermittelt.

(S E R V I C E - "Jewgenij Chaldej. Der Fotograf der Befreiung" von 12. Mai bis 1. November im Museum Judenplatz. Geöffnet Sonntag bis Donnerstag von 10 bis 18 Uhr und freitags bis 14 Uhr/Winterzeit bzw. 17 Uhr/Sommerzeit. Dazu erschienen ist der Ausstellungskatalog, Eigenverlag, 112 Seiten, 19,90 Euro. www.jmw.at)