Karl V. auf dem Maultier: Arno Geigers "Reise nach Laredo"

Arno Geiger widmet sich Karl V.
Ein historischer Roman von Arno Geiger? Das hätte man nicht erwartet. Doch die "Reise nach Laredo", über die der in Wien lebende Vorarlberger in seinem neuen Buch schreibt, findet im 16. Jahrhundert statt, mit Maultier, Grauschimmel und Karren. Unternommen wird sie quer durch Zentralspanien von einem abgetretenen Kaiser und König, über den man in dieser Form sicher noch nie gelesen hat: Geigers Protagonist ist niemand anderer als Karl V. (1500-1558).

Macht und Pracht sind längst vorbei. Als die Geschichte im Jahr 1558 anhebt, hat der ehemalige Herrscher seine Würden als König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches schon abgegeben und sich vor zwei Jahren in die Abgeschiedenheit zurückgezogen. Im Kloster von Yuste wird er vom Leibarzt, ein paar Mönchen und einem minimalen Rest seines einstigen Hofstaates umsorgt. Das hat er auch nötig, denn so sehr er nach aller imperialen Machtfülle dazu bereit ist, den einfachen Menschen in sich zu entdecken, um am Ende seines Lebens demütig vor Gott zu treten, so wenig kann sein aufgedunsener, von Gicht geplagter und mehr als nur Spuren eines ausschweifenden Lebens aufweisender Körper ohne fremde Hilfe den Alltag bestreiten.

Einem mittels aufwendiger Hebevorrichtung in aller Öffentlichkeit bestrittenen Bad widmet Geiger die opulente Eröffnungsszene, die es schafft, innerhalb weniger Seiten den äußeren Verfall und die innere Zerrissenheit des Protagonisten ebenso zu skizzieren wie eine Ahnung von den Lebensumständen der Zeit zu geben. Hier ist ein Meister der Erzählkunst am Werk, und sofort ist man neugierig auf die Geschichte, die nun anhebt, und von der man keine Ahnung hat, wohin sie führen könnte. "Nach Laredo? Zu welchem Zweck?" - "Zu keinem Zweck. Es ist nur ein Vorhaben."

"Der alte König in seinem Exil" hieß 2011 ein herausragendes Buch Geigers, mit dem er sich seinem an Alzheimer erkrankten Vater August näherte. Auch Ex-König Karl rührt einen von Anfang an. Die bisher vergebliche Suche nach dem Kern des eigenen Daseins macht ihn weniger demütig als "mürrisch wie ein seit Jahren angebundener Bär". Ohne Macht scheint sein Leben keinen Sinn mehr zu haben, und was sein Beichtvater meint, wenn er sagt, in jedem Menschen stecke ein zurückgetretener König, ist ihm noch immer nicht ganz klar. Abhilfe kann nur Veränderung bringen. Und von dieser Veränderung erzählt die "Reise nach Laredo".

Um aufzubrechen in ein Abenteuer, das den alten König am Ende näher zu sich selbst bringen soll, wäre es nötig, ein Pferd zu besteigen. Das schafft er nicht. Also muss es ein Maulesel tun. Der Aufbruch ins Ungewisse, den Karl gemeinsam mit seinem elfjährigen illegitimen Sohn Geronimo (den Geiger ebenfalls den Geschichtsbüchern entnommen hat) als Pagen unternehmen lässt, ist weniger ein Ausreiten als ein Ausreißen aus den starren Regeln des Klosteralltags ins wilde, echte Leben. Wie Don Quichote und Sancho Pansa ziehen sie hinaus in die karge Hochebene.

Nicht nur Miguel de Cervantes, dem zum Zeitpunkt der Geschichte ebenfalls elfjährigen späteren Nationaldichter, erweist Geiger seine Reverenz. Kurz tauchen Tizian und Dürer in der Erinnerung Karls auf, und als sie in einem einsamen Bergdorf Quartier nehmen, erwartet sie, angekettet im Hinterhof, ein Tier, das man im Reich der Fabel vermutet hätte: ein leibhaftiger Greif - halb Löwe, halb Vogel. Realistischer sind dagegen die Brutalitäten und Ungerechtigkeiten, die Karl und Geronimo auf Schritt und Tritt begegnen. Dem fahrenden Geschwisterpaar Angelita und Honza, Angehörige der diskriminierten und verfolgten Volksgruppe der "Cagots", retten die beiden das Leben. Fortan reist man zu viert.

Dass diese "Reise nach Laredo" von Karl letztlich nur im letzten Traum seines Lebens unternommen und sein Personal aus verschiedenen Charakteren seiner Umgebung gebildet wird, erweist sich erst gegen Ende. Dass ihre Wegstrecke von der Gegenwart aus abgesteckt wurde, lässt der Autor hingegen immer wieder durchblicken. Unplausibilitäten und Unkorrektheiten sind schließlich das Wesen des Traums. Manche Asynchronität der Sprache kann daher nur gewollt sein. Als sich die schöne Angelita von Karl und seinem Pagen trennt, verabschiedet sie sich mit einer anerkennenden Zusammenfassung seines Wesens: Karl sei "ein klasser Kerl". Da reißt es einen gewaltig. Doch schon beim nächsten Satz des Mädchens muss man schmunzeln. "Das habe ich noch nie zu jemandem gesagt."

Der klasse Kerl wird kurz danach noch ein letztes Mal das Meer sehen und fröhlich wie ein Kind in die Fluten eintauchen. Die Reise nach Laredo hat ihren Zweck erfüllt. Der Tod kann kommen.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Arno Geiger: "Reise nach Laredo", Hanser Verlag, 272 Seiten, 26,80 Euro, Buchpremiere bei den O-Tönen im Museumsquartier Wien: Donnerstag, 29.8., 20.30 Uhr)

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