APA - Austria Presse Agentur

Klima: Bestsellerautorin sieht "Das Ende des Kapitalismus"

Mit Büchern wie "Der Sieg des Kapitals" hat "taz"-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann Bestseller gelandet. In ihrem neuen Buch ruft sie "Das Ende des Kapitalismus" aus und erklärt, "warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind". Im APA-Interview sagt sie, warum sie "Grünes Wachstum" für eine Illusion und einen radikalen Umbau in eine "Überlebenswirtschaft" für den einzigen Ausweg hält: "Dann gibt es keine Flüge mehr, keine Versicherungen, keine Banken, keine Autos."

APA: Frau Herrmann, lassen Sie uns mit einem aktuellen österreichischen Thema beginnen. Die Regierung schafft es weiterhin nicht, ein Klimaschutzgesetz vorzulegen. Die Wirtschaft kämpft um größtmögliche Unverbindlichkeit der Ziele und wehrt sich gegen Strafen bei Nicht-Erreichung. Das führt uns mitten ins Thema: Wie passen Kapitalismus und Klimaschutz zusammen?

Ulrike Herrmann: Das Kernproblem ist ja, dass man klimaneutral nur werden kann, wenn es genug Ökostrom gibt, um die gesamte Wirtschaft zu befeuern. Dieser Ökostrom fehlt aber - in Deutschland wie in Österreich. Österreich hat zwar mehr Wasserkraft, es ist aber abzusehen, dass durch die Dürren im Sommer die Wasserkraft immer wieder ausfallen wird. Gebraucht werden also vor allem Solarpaneele und Windräder. Davon haben sowohl Deutschland als auch Österreich viel zu wenig. Im Augenblick deckt die Windkraft in Deutschland nur ganze 4,7 Prozent des Endenergieverbrauchs ab. Solange die Windräder fehlen, ist es völlig egal, was man in ein Klimaschutzgesetz schreibt. Gebraucht wird staatliche Planung und ein gesamtgesellschaftlicher Konsens, dass derzeit nichts so wichtig ist wie Windräder aufzustellen.

APA: Im deutschen Regierungsprogramm steht viel über Transformation aber nichts über Einsparung, Einschränkung und Verzicht. Die eigentliche Botschaft, die sich niemand auszusprechen traut, ist doch: Die fetten Jahre sind vorbei!

Herrmann: Das stimmt. Selbst, wenn man die Windkraft in Deutschland optimal ausbaut, wird der Ökostrom nicht reichen, um "Grünes Wachstum" zu befeuern. Es läuft auf "Grünes Schrumpfen" hinaus. Kapitalismus, also Wachstum, und Klimaschutz passen leider überhaupt nicht zusammen. Diese Tatsache wird von niemandem ausgesprochen. Ob Parteien, Weltbank, Europäische Kommission oder internationaler Währungsfonds - alle setzen auf die Idee, dass es die Technik schon richten wird. Alle glauben ans "Grüne Wachstum". Aber genau das wird nicht stattfinden.

APA: Speziell nach 1989 galt doch der Kapitalismus als DAS Wirtschaftssystem, das sich gegen alle anderen durchgesetzt hat. Und tatsächlich hat er ja zumindest den Europäern einen Wohlstand beschert, wie es ihn nie zuvor gegeben hat. Was wäre denn falsch daran, weiter auf das Erfolgsmodell zu setzen?

Herrmann: Damit keine Missverständnisse entstehen: Ich bin keine Kapitalismus-Kritikerin. Ganz im Gegenteil, ich bin fasziniert von diesem System, das Wachstum erzeugt hat. Dieser Wohlstand ist ein Segen - auch wenn Vermögen und Einkommen sehr ungleich verteilt sind. Man denke nur an die gestiegene Lebenserwartung. Früher sind die Menschen im Durchschnitt mit 35 Jahren gestorben. Der Kapitalismus hat aber ein Problem: Er produziert nicht nur Wachstum, sondern er braucht auch Wachstum, um stabil zu sein. Kontinuierliches Schrumpfen wäre sein Tod. Er würde in eine unkontrollierte Abwärtsspirale geraten. Das wäre auch demokratiegefährdend: In der Weltwirtschaftskrise ab 1929 haben Deutsche und Österreicher erlebt, wie schnell ein rechtsradikaler Diktator an die Macht kommen kann, wenn die Menschen Einkommen und Perspektive verlieren. Die Frage ist also, wie man geordnet aus dem Kapitalismus aussteigt. Ohne Krise. Denn wir werden nicht genug Ökoenergie haben, damit der Kapitalismus auf Dauer dynamisch weiterwachsen kann.

APA: In Ihrem Buch beschreiben Sie sehr eindrücklich, welche riesigen Teile der Wirtschaft und Gesellschaft sich da umorientieren müssten, welche Branchen da völlig obsolet wären. Wieso glauben Sie, dass DIESE Transformation eher gelingt als eine Transformation, die dem Kapitalismus neue Ziele gibt, bei denen Nachhaltigkeit und Lebensqualität zumindest so wichtig sind wie Profit und Ertrag?

Herrmann: Vielen ist nicht klar, dass Kapitalismus Wachstum braucht, um stabil zu sein. Ein wichtiger Treiber dafür ist die Kreditwirtschaft. Man kann Wachstum nur finanzieren, wenn man Darlehen aufnimmt. Diese Kredite lassen sich aber nur zurückzahlen, wenn es Wachstum gibt. In dem Moment, wo die Kredite ausbleiben, bricht das System zusammen. Daher kann man den Kapitalismus nicht ein bisschen umbauen, indem man immer auf ein bisschen der Wirtschaftsleistung verzichtet. Der Kapitalismus lässt sich zwar politisch sehr stark gestalten, was sich auch daran zeigt, dass sich der Kapitalismus in den USA deutlich von den Varianten in Deutschland und Österreich unterscheidet. Aber ein zentrales Element ist, dass er Wachstum braucht. Sonst ist der Kapitalismus am Ende und muss durch ein neues System abgelöst werden.

APA: Die Frage ist: Welches? Begriffe wie Gemeinwohlökonomie, Kreislaufwirtschaft und dergleichen werden als völlig weltfremd abgetan. Wie kann es gelingen, diese Umorientierung in den Mainstream der Diskussion einzubringen?

Herrmann. Die Debatte wird kommen - ganz einfach, weil der Klimawandel katastrophale Ausmaße annehmen wird. Aber das Umdenken wird zu spät einsetzen. Es wird erst dann stattfinden, wenn die Schäden so enorm sind, dass ein Weiterso gar nicht mehr möglich ist. Leider werden dann eine Reihe von Kipppunkten bereits hinter uns liegen, an denen man die Klimakatastrophe noch hätte aufhalten können. Gleichzeitig ist klar: Es wird immer schlimmer. Daher ist es nie zu spät, mit ernsthaftem Klimaschutz anzufangen.

APA: Kapitalismus hat zu extremer Ungleichheit geführt. Es ist doch nicht damit zu rechnen, dass die dadurch Mächtigen ihre Macht freiwillig abgeben?

Herrmann: Der Kapitalismus selbst braucht keine Ausbeutung, das habe ich in meinem Buch auch ausführlich versucht darzustellen. Die extreme Ungleichheit ist eine politische Entscheidung, aber kein ökonomischer Sachzwang. Trotzdem stimmt es: Die Reichen haben sehr viel Macht. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie diese freiwillig abgeben? Es gibt ein Vorbild: Die Briten mussten im Zweiten Weltkrieg ihre Wirtschaft in ganz kurzer Zeit schrumpfen, um Kapazitäten für die Rüstung freizumachen. Die knappen Konsumgüter haben die Briten gerecht verteilt - durch Rationierung. Dieses historische Modell zeigt, dass es möglich ist, auch in einer schrumpfenden Wirtschaft Demokratie und Gerechtigkeit zu bewahren. Die Alternative wäre eine faktische Rückkehr zum Feudalismus. Auch dafür gibt es in der Geschichte ein Beispiel: der Zusammenbruch des Weströmischen Reiches. Es hatte seine ökonomische Basis überstrapaziert und in dem folgenden Chaos haben sich die Menschen um Männer geschart, die Waffen besaßen. Diese Herrscher verlangten von ihren Untertanen absolute Gefolgschaft, haben sie aber gleichzeitig beschützt. Dieses System entspricht in etwa den Warlords, wie wir sie heute in Afghanistan sehen - und das ist auch ein Modell, das in Deutschland und Österreich denkbar ist, wenn der Kapitalismus zusammenbricht. Besser wäre also ein System staatlicher demokratischer Planung wie in der britischen Kriegswirtschaft.

APA: Lehrt uns der Ukraine-Krieg nicht, dass jetzt wieder eine Zeit kommt, in der Waffen mehr zählen als Argumente?

Herrmann: Ich glaube nicht, dass der Ukraine-Krieg der Beginn einer neuen Ära ist, sondern der Abschluss von 1989. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat dazu geführt, dass sich in nahezu allen Satellitenstaaten die Gesellschaft tiefgreifend gewandelt hat, in den meisten Ländern auch zu einer Demokratie. Der einzige Staat, der sich auch mental nicht wirklich von dem Zusammenbruch erholt hat, war Russland. Dort herrscht immer noch die Idee vor, man sei eine imperiale Macht und könnte anderen Ländern aufoktroyieren, wie sie zu leben haben. Der Ukraine-Krieg wird bewirken, dass sich Russland völlig neu definieren muss. Es ist keine militärische Supermacht mehr, wie der Kriegsverlauf zeigt. Auch die ökonomische Basis erodiert, unter anderem durch den Lieferstopp beim Gas. Russland kann sein Gas nur nach Europa verkaufen. Die dortigen Kunden werden sich aber nie mehr auf Russland verlassen. Ökonomisch gesehen ist es also Selbstmord, dass Putin die Pipelines abdreht. Der Wettlauf der Supermächte wird künftig nicht mehr mit Russland stattfinden, sondern mit China.

APA: Gäbe es nicht ein viel nahe liegenderes Beispiel für bemerkenswerte staatliche Eingriffe als die britische Kriegswirtschaft? Haben nicht die ersten Monate der Corona-Krise gezeigt, wie handlungsfähig der Staat auch in einer Demokratie ist, wenn es wirklich notwendig ist?

Herrmann: Sie haben recht: Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass der Staat handlungsfähig ist, und dass es das Primat der Politik gibt. Niemand hat sich mehr für das Thema "Markt" interessiert. Für die anstehende Transformation ist die Corona-Politik trotzdem kein Modell, denn es ging ja darum, das Wachstum anzukurbeln. Man wollte den Kapitalismus retten, nicht ihn schrumpfen.

APA: In Ihrem Buch bleiben Sie die konkreten Maßnahmen schuldig, die der Staat nach dem Vorbild der britischen Kriegswirtschaft setzen müsste.

Herrmann: Ich finde nicht, dass ich nicht konkret werde. Ich beschreibe, wie man in wenigen Wochen die gesamte Wirtschaft umbauen kann. Die Salamitaktik wird nämlich nicht funktionieren, weil der Kapitalismus dann chaotisch zusammenbricht. Das muss alles aus einem Guss und auf einen Schlag umgestellt werden. In dieser "Überlebenswirtschaft" gibt es dann keine Flüge mehr, keine Versicherungen, keine Banken, keine Autos. Das ist vorbei. Die Menschen hätten immer noch Arbeit, aber sie müssten sich sehr stark darum kümmern, die Lebensgrundlagen zu erhalten - etwa durch die Wiederaufforstung des Waldes, durch ökologischen Landbau usw. Das ist natürlich eine riesige Herausforderung. Aber das gewohnte Klein-klein funktioniert nicht und erzeugt nur Rebound-Effekte: Wenn man etwa einfach nur zusätzliche Windräder aufstellt, dann wird diese Extra-Energie genutzt, um noch mehr Wachstum zu erzeugen.

APA: Diese Rebound-Effekte würden sich doch auch im globalen Maßstab einstellen? Wenn etwa Österreich und Deutschland komplett umstellten, verlagern sich die Möglichkeiten und Probleme des Kapitalismus nur auf den Rest des globalen Marktes.

Herrmann: Da haben Sie völlig recht. Klimaschutz kann nur global funktionieren - schon, weil ein CO2-Molekül keine Grenzen kennt. Aber die meisten Länder werden ja viel härter von der Klimakrise getroffen als Österreich und Deutschland. In vielen Staaten sind schon jetzt große Teile unbewohnbar. Dort ist das unmittelbare Interesse am Klimaschutz also eigentlich viel größer als bei uns.

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

ZUR PERSON: Ulrike Herrmann, geb. 1964 in Hamburg, Ausbildung zur Bankkauffrau, Studium von Philosophie und Geschichte, Absolventin der Henri-Nannen-Schule. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Körber-Stiftung sowie Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager. Seit 2000 ist sie Wirtschaftskorrespondentin der "taz", Publizistin und Buchautorin zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen. Bücher u.a.: "Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht" (2012) oder "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen" (2022).

(S E R V I C E - Ulrike Herrmann: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden", Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 24,70 Euro. Erscheint am 8. September, ISBN 978-3-462-00255-3)